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kinder arbeiten in iran


Jeden Tag, sieben Tage in der Woche, steht Hamid in der Mitte einer vierspurigen Straße und wartet inmitten des nie enden wollenden Teheraner Straßenverkehrs darauf, dass die Ampel, an der er steht, auf Rot schaltet. Dann bahnt er sicht seinen Weg durch die Abgase und den Lärm und klopft an die Türen der wartenden Autos. Hat er Glück, so lehnt sich ein Fahrer aus dem Fenster und nimmt einen kleinen Zettel - ein Gedicht des großen persischen Poeten Hafez - aus der Hand des Jungen, der im Gegenzug umgerechnet etwa 10 Eurocent erhält. Sobald die Ampel wieder grün wird, bahnt sich Hamid seinen Weg zurück, immer auf der Hut vor den dröhnenden Wagen um ihn herum und glücklich darüber, nicht überfahren zu werden. Während die dichten Abgase seine kleinen Lungen füllen, wartet der Junge auf die nächste Rotphase. Er ist gerade einmal fünf Jahre alt.
Nach offiziellen Schätzungen leben etwa 20.000 Kinder im Iran auf der Straße, Nichtregierungsorganisationen gehen jedoch von mindestens 35.000 allein in der Hauptstadt Teheran aus. Einem acht Jahre alten iranischen Zeitungsbericht zufolge starben pro Monat 100 bis 150 Kinder im Land an Unterernährung und infolge der gefährlichen Bedingungen, unter denen sie arbeiten müssen.
Ausmaß der Kinderarbeit
Zwar hat der Iran keines der internationalen Abkommen über ein Mindestarbeitsalter ratifiziert, jedoch existieren nationale Vorschriften zur Verhinderung von Kinderarbeit. Ein iranisches Kind unter fünfzehn Jahren kann nicht legal beschäftigt werden, allerdings gibt es in diesem Zusammenhang ein juristisches Schlupfloch, welches weithin ausgenutzt wird.
"Es gibt ein Problem mit diesem Gesetz; Arbeit im Haushalt ist davon ausgenommen, was bedeutet, dass viele Kinder zuhause oder in Arbeitsstätten, die innerhalb eines Privathaushaltes betrieben werden, beschäftigt werden, ohne dass es dagegen eine rechtliche Handhabe gibt", sagte Mahsa Kayyal, Leiter des Komitees für Kinderrechte ODVV, dem Informationsnetzwerk IRIN.
Nichtregierungsorganisationen fordern Gesetzesänderungen, um die Rechte arbeitender Kinder zu schützen, sowie eine Klärung des rechtlichen Status von Straßenkindern und Kinderarbeit. "Es gibt nicht nur keine rechtliche Definition, was ein Straßenkind ist, sondern es gibt nicht einmal eine klare Altersgrenze, bis zu der ein Kind als minderjährig gilt. Es herrschen jeweils verschiedene Definitionen der Minderjährigkeit für verschiedene Bereiche des Rechtssystems - Heiratsfähigkeit, Arbeitsrecht, usw. - daher sind zwei Änderungen nötig: eine einheitliche rechtliche Altersgrenze für die Kindheit eines Menschen und eine juristische Anerkennung des Status von Straßenkindern", so Kayyal.

Reaktion der UNO und der Nichtregierungsorganisationen (NROs)
Mehrere NROs arbeiten daran, der Regierung einen diesbezüglichen Gesetzentwurf zu unterbreiten. Unter den Vorschlägen sind die Einführung eines Gesetzes zur Unterbindung des Menschenhandels wie auch ein Gesetz, welches harte Strafen für diejenigen vorsieht, die Kinder zum Betteln und zum Drogenhandel zwingen, nachdem deutlich wurde, dass einige der Straßenkinder in die Fänge der organisierten Kriminalität geraten sind. "Es muss außerdem eine klare Definition des sexuellen Missbrauchs geben, da diese derzeit lediglich den Geschlechtsverkehr, nicht jedoch andere Formen des Missbrauchs abdeckt", so Kayyam weiter.
Im Jahr 2002 hatte das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) gemeinsam mit dem Amt für soziale Angelegenheiten des Innenministeriums ein Komittee eingesetzt, dessen Ziel es war, die Zahl der NROs, die sich der iranischen Straßenkindern annehmen, zu erhöhen. Nach Angaben von UNICEF waren die Ergebnisse dieses Projekts jedoch nicht zufriedenstellend, da nur wenige der Organisationen über die nötige Erfahrung und das nötige Personal verfügten.
Mitte der neunziger Jahre hatte die UNICEF eine Untersuchung über die Betreuungsmöglichkeiten für iranische Straßenkinder in acht verschiedenen Provinzen durchgeführt, an der neben Regierungseinrichtungen und lokalen Behörden auch NROs teilnahmen. Die Untersuchungsergebnisse legten nahe, dass die Gefahren, die den Kindern drohen, sobald sie nach Hause zurückkehren, nur ungenügend beachtet werden, dass der Kontakt zwischen Familien und Behörden unzureichend ist und dass zu wenig getan wird, um den Familien bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen.
Die meisten der Straßenkinder leben in den Armenvierteln im Süden Teherans und werden von ihren Familien täglich zum Arbeiten in die wohlhabenden Vororte der Stadt geschickt. Dort müssen sie sich als Schuhputzer verdingen, Autoscheiben waschen (sofern sie diese überhaupt erreichen können) und alle möglichen unnützen und kuriosen Gegenstände verkaufen: Kaugummi, Glücksgedichte, Nylonstrümpfe und billige Schuhe.
Süd-Teheran ist der bevölkerungsreichste Teil der iranischen Hauptstadt. Die Menschen leben dort in verfallenen Häusern in engen, verschlungenen Gassen. Dieser Stadtteil, der einst dass Zentrum der islamischen Revolution von 1979 war, breitet sich nun als Meer aus Bazaren und schwarzen Tschadors immer weiter in Richtung Süden aus. Es ist der Bezirk der Armen, der Arbeiterklasse und der Religiösen, in dem die Menschen immer noch in Massen jeden Freitag zum Gebet strömen. Wenn die Flüsse, die ihre Quellen in den Bergen im Norden der Stadt haben, diesen Stadtteil erreichen, ist aus ihrem Wasser eine trübe, dichte Brühe voller Unrat geworden.
Zuflucht für Straßenkinder
An einer Straße, in der Moscheen mit türkisen Kuppeln zwischen halb-eingestürzten Gebäuden und verlassenen Häusern eingezwängt stehend, befindet sich, versteckt hinter einer Ziegelsteinmauer, ein kleines, schäbiges Haus.
Dort, hinter dem Eisentor kann man das Quietschen vergnügt spielender Kinder hören. Es handelt sich um einen der wenigen Orte in Teheran, an dem Straßenkindern Schutz und Erziehung geboten werden. Diese Darvazeh-Ghar genannte Einrichtung ist eine Schule, die von der Gesellschaft für den Schutz der Kinderrechte betrieben wird, einer Nichtregierungsorganisation die von der Nobelpreisträgerin und Menschenrechtsanwältin Shirin Ebadi eingerichtet wurde.
Die Schule wird von etwa 200 Schülern zwischen fünf und siebzehn Jahren besucht, wovon die meisten jedoch nicht regelmäßig erscheinen. Fünf Tage in der Woche können sie hierher kommen und erleben, was es bedeutet, ein Kind zu sein, wobei die meisten der Kinder nur einen Tag in der Woche frei haben, um in die Schule zu gehen. Drei große Gruppen von Straßenkindern kommen hierher - Iraner, Afghanen und Zigeuner, eine ethnische Minderheit, die aus Indien, Pakistan und Bangladesch ins Land gekommen ist.
"Für die meisten Kinder hier ist die Teilnahme saisonabhängig", sagte Ali Akbar Esmaielpoor, ein ehrenamtlicher Lehrer, gegenüber IRIN. "Beispielsweise erscheinen unsere Zigeunerkinder im Sommer nur selten, da sie zu dieser Zeit in den Norden zurückkehren, um ihren Familien in der Landwirtschaft zu helfen, wie etwa bei der Bewirtschaftung der Reisfelder". In der Schule arbeiten ungefähr 80 ehrenamtliche Helfer, die vom Unterrichten bis hin zum Kochen alle möglichen Aufgaben wahrnehmen - darunter sogar ausgebildete Therapeuten, die die Kinder betreuen.
"Viele ihrer Eltern sind drogenabhängig und darauf angewiesen, dass die Kinder ihre Sucht finanzieren. Oft sind sie gewalttätig, und Missbrauch ist ebenfalls verbreitet", so Esmaielpoor.
Flüchtlings- und Migrantenkinder
Hamids Eltern gestatten ihm, einen Tag im Monat in der Schule zu verbringen - der Schulbesuch ist sein freier Tag. "Es gefällt mir hier, es ist besser, als den ganzen Tag auf der Straße zu stehen", sagt er mit einem Lächeln, während seine Freude an seinem abgewetzten T-Shirt zerren. "Ich mag es nicht, auf der Straße zu stehen. Es ist langweilig, und in der Sonne ist es heiß". Er kratzt seinen kleinen Kugelbauch, der durch Unterernährung aufgebläht ist. Hamids Familie kommt ursprünglich aus Afghanistan, er selber ist im Iran geboren. Etwa 70% der Kinder hier sind afghanischer Herkunft.
Das Flüchtlingskommissariat der UNO (UNHCR) schätzt, dass im Iran etwa eine Million afghanische Flüchtlinge leben. Die meisten ihrer Kinder arbeiten, statt eine Schule zu besuchen. "Theoretisch dürfen Afghanen im Iran unabhängig von ihrem Alter überhaupt nicht arbeiten. Natürlich passiert es trotzdem, aber die rechtliche Situation läßt uns nur wenige Möglichkeiten für Verhandlungen mit der Regierung", sagte Marie-Helene Verney, die Informationsbeauftragte des UNHCR, gegenüber IRIN.
Viele der Kinder, die Darvazeh-Ghar besuchen, sind keine Kriegsflüchtlinge sondern illegale Einwanderer, deren Eltern aus wirtschaftlichen Gründen ins Land gekommen sind und hier schwarz, zumeist als schlechtbezahlte Bauarbeiter, beschäftigt sind. Ihre Kinder, ebenfalls illegale Einwohner, haben kein Recht auf Ausbildung, und viele von ihnen werden bereits früh zum Arbeiten geschickt, um das karge Familieneinkommen aufzubessern.
Es gibt nur wenig, was internationale Organisationen wie die UNO für diese Kinder - Flüchtlinge und illegale Einwanderer gleichermaßen - tun können. "Was die Flüchtlingskinder angeht, so ist es Aufgabe des Gastlandes dafür zu sorgen, dass die Kinder den gleichen Zugang zu Bildung erhalten wie alle anderen Kinder im Land", so Verney zu IRIN.
"Der Iran hat in diesem Bereich in der Vergangenheit sehr gute Arbeit geleistet, allerdings wird mehr und mehr erwartet, dass Eltern für die Ausbildung ihrer Kinder bezahlen. Das UNHCR hat bis vor einigen Jahren diese Kosten zum Teil übernommen, das Programm ist jedoch im Juni 2004 ausgelaufen. Seit diesem Zeitpunkt wird das Budget des UNHCR im Iran ständig gekürzt, und der Schwerpunkt verlagert sich hin zur freiwilligen Rückführung. Manche der afghanischen Flüchtling schicken ihre Kinder außerdem lieber in afghanische Schulen, obwohl diese im Iran zwar toleriert werden, rechtlich aber nicht anerkannt sind", fügte sie hinzu.
Grenzen der Schule
Das Lieblingsfach der meisten Kinder in Darvazeh-Ghar ist das Märchenerzählen. Die Kinder versammeln sich um das Lehrerzimmer und warten auf einen Mann, den sie Onkel Khayat nennen. Seine freundlichen Augen und sein grauer Schnurbart zeigen sofort, weshalb er so beliebt ist. Ali Selayahti Khayat, ein Mitglied der Schriftstellervereinigung, bringt den Kindern bei, sich durch das Schreiben von Geschichten eine Ausdrucksmöglichkeit zu verschaffen.
Als die sechzehnjährige Shirin zum ersten Mal hierherkam, konnte sie weder lesen noch schreiben. Jetzt ist sie Onkel Khayats beste Schülerin, die auswendig gelernte Gedichte rezitiert. "Ich darf nur einmal pro Woche hierherkommen, da ich acht Geschwister habe und mein Vater vor einigen Jahren verstorben ist. Ich bin die Älteste, daher muss ich arbeiten und meiner Mutter bei der Kindererziehung helfen", sagte sie im Gespräch mit IRIN.

Gerade hat Shirins Mutter ihr mitgeteilt, dass sie ab nächster Woche nicht mehr herkommen dürfe, da sie nun in Vollzeit arbeiten müsse; und es gibt wenig, was die Lehrer in Darvazeh-Ghar tun können, um Eltern zu überzeugen, ihren Kindern den Schulbesuch zu erlauben.
"Ich bin verpflichtet sie auszubilden, aber ich kann das Leben ihrer Familien nicht ändern, und das ist mein größtes Problem - die Kluft zwischen ihrem Leben in der Schule und jenem in ihrem Elternhaus", sagte der Schulleiter Kamran Farivar gegenüber IRIN. Das Lehren an der Schule wirkt sich jedoch nicht nur in einer Richtung aus. Sämtliche Lehrer hier sagen, dass der Kontakt mit den Kindern ihr Leben bereichert habe. "Sie haben mich soviel gelehrt", sagte Farivar. "Diese Kinder haben mir Gott gezeigt".