Hier ist das Bild der einigen TÜV abgelaufenen Verbrechen des Mullah-Faschismus die Verantwortlichen der kriminellen Bade des Welayat-Faschismus sind und bald wegen ihren Verbrechen, für 120.000 Hinrichtungen und 500.000 gefolterten Menschen, im Iran vor dem Internationalen Gerichtshof gestellt werden. Wenn sie überhaupt beim Stürzt hoffentlich lebendig bleiben.
Die Freiheit der Mörder
www.zeit.de
Die Basidschi verstehen sich als Religionswächter in Iran. Sie töten nach Belieben. Ein Mord in der Provinzstadt Kerman zeigt, mit welcher Brutalität sie vorgehen. Politik und Justiz schützen sie
Von Ulrich Ladurner
Hamzeh Mustafavi kam zu spät für die Revolution und zu spät für den Krieg, und deshalb wurde er zum Mörder. Der Tod war immer ein Teil von Hamzehs Leben gewesen, nicht als Schrecken, sondern als Erlösung, als Feier und eigentliche Bestimmung des Gläubigen. Hamzeh wäre gern einen Märtyrertod gestorben, im Kampf gegen den Schah oder auf dem Schlachtfeld des Iranisch-Irakischen Krieges. Doch die Gelegenheit bot sich ihm nicht, da er zu spät geboren wurde. Fünf Menschen haben dafür mit dem Leben bezahlt.
Mattes Licht liegt über der Stadt an diesem kalten Novembertag, ab und an fegt eine eisige Brise durch die Straßen von Kerman. Die wenigen Passanten eilen lustlos durch den Basar, vorbei an dick eingekleideten Verkäufern, die so teilnahmslos dasitzen, als erwarteten sie gar nicht, dass ihnen jemand etwas abkaufe. Straßenkinder lungern unter den hohen Bogengängen herum, in schmutzigen Kleidern und mit löchrigem Schuhwerk. Die jungen Männer trotzen dem Wetter und machen sich auf die Suche nach allem, was Aufregung und Spaß verspricht, manchmal ist es ein harmloser Streich, manchmal ist es der Konsum einer gefährlichen Droge.
Ungewöhnlich still ist es in diesem Basar, und doch meint man in seinem tiefen Inneren das Pochen eines wilden Herzens zu spüren. Irgendwo schlägt es, in den halb verfallenen Lagerhäusern, in dunklen Kellern, auf düsteren Dachböden und unter schattigen Torbögen. Wer die Sinne schärft, kann ein leises Zittern spüren, das in regelmäßigen Abständen durch den labyrinthischen Körper des Basars fährt, ein unterirdisches Grollen, ein Fauchen und Zischen. Hamzeh muss es gefühlt haben – und er muss es gehasst haben, denn er zog aus, um dieses ungezähmte Herz mit Stumpf und Stiel zu vernichten.
Ajatollah Chomeini gründete die Basidschi, um den Islam zu schützen
An einem kalten, bleichen Tag wie diesem schwärmten der 21-jährige Hamzeh und seine vier Kameraden aus, um die Stadt von »korrupten Elementen« zu säubern. Die jungen Männer, der älteste war 25 Jahre alt, waren Mitglieder der Basidschi, der Freiwilligen der Islamischen Republik Iran.
Ajatollah Ruhollah Chomeini hatte diese Organisation ins Leben gerufen, um die Revolution und den Islam vor ihren Feinden zu schützen. Im Krieg gegen den Irak, der von 1980 bis 1988 dauerte, sind die Basidschi zu Tausenden über die Minenfelder gelaufen, um den nachfolgenden Einheiten der Armee den Weg frei zu machen. Sie trugen einen Schlüssel um den Hals, den Schlüssel zum Paradies. Chomeini selbst hatte ihnen versprochen, dass sie ins Himmelreich kämen, wenn sie sich opferten. Sie glaubten es.
Die meisten Basidschi waren minderjährig, viele dem Knabenalter noch nicht entwachsen. Es gab ein Gesetz, wonach über Zwölfjährige auch ohne Zustimmung der Eltern rekrutiert werden konnten. Das tausendfache Massaker an diesen iranischen Kindern stellt das Regime heute als den ultimativen Beweis für die Opferbereitschaft des eigenen Volkes dar. Der Krieg ist zwar seit fast 20 Jahren zu Ende, doch die Basidschi leben in einem permanenten Zustand der Mobilisierung – und da es im Augenblick mit einem äußeren Feind (noch) keinen Krieg auszufechten gibt, richtet sich diese aggressive Energie nach innen, gegen alles, was nicht konform geht mit der Revolution.
Hamzeh war Kommandant der Basidschi-Station Schaheed Mollai, die in einer kleinen Moschee, ein paar Gehminuten vom Basar entfernt, untergebracht war. Hier in diesen verwinkelten, heruntergekommenen Gassen hatte Hamzeh die Aufgabe übernommen, amoralisches Verhalten zu ahnden. Und davon gab es in seinen Augen mehr als genug. Alkohol, Drogen, Prostitution oder was er dafür hielt.
An jenem Novembertag des Jahres 2001 knöpfte sich Hamzeh den jungen Hadi Yazdan vor, der im Basar heimlich Alkohol verkaufte. Gegen Abend stellten Hamzeh und die Seinen ihn in einer engen Straße, rund einen Kilometer vom Basar entfernt, zur Rede. Yazdan wehrte sich gegen die Anschuldigungen. Es kam zu einem lauten Wortwechsel. Das Geschrei weckte die Aufmerksamkeit von Mohammed Reza Nedschad-Malayeri und seiner Frau Shorah Nikpour, die zufällig vorbeispazierten. In der hereinbrechenden Dunkelheit konnten sie nicht genau erkennen, was vor sich ging. Deshalb näherte sich das Paar den Streitenden. Als sie die Basidschi-Uniformen erkannten, machten sie kehrt, liefen zu ihrem Wagen und setzten sich hinein, um so schnell wie möglich wegzukommen. Sie hatten nichts verbrochen, doch fürchteten sie sich vor der Unberechenbarkeit der Basidschi. Zu spät.
Noch bevor Reza den Wagen starten konnte, zertrümmerten die Basidschi die Scheiben. Hamzeh griff sich den Wagenschlüssel, dann zerrten sie Reza auf den Beifahrersitz. Hamzeh setzte sich ans Steuer. Zwei Basidschi drängten sich zu Rezas Frau auf die Hinterbank. Sie fuhren in Richtung Basar. In einem zweiten Wagen folgten die drei anderen Basidschi, die den Alkoholhändler Yazdani festgenommen hatten. Nach wenigen Minuten erreichten sie den Schaheed-Mollai-Wachtposten. Sie fesselten die drei.
Hamzeh nahm den Koran in die Hand und hielt den Verhafteten ihre Vergehen vor. Yazdani flehte und bettelte. Hamzeh konsultierte den Koran, blätterte, las, blätterte und kam schließlich zum Schluss, dass er den Mann freilassen konnte. Er hatte zwar gegen die islamischen Gesetze verstoßen, aber Hamzeh sah in ihm echte Reue aufkeimen und ließ daher Milde walten. Er muss in diesem Augenblick all seine Macht gespürt haben, die Macht über Leben und Tod. Das Ehepaar Nedschad-Malayeri hielt er weiter fest. Er warf ihnen vor, eine »illegitime Verbindung« zu unterhalten. Das war unverzeihlich. Er hatte dafür eine furchtbare Strafe vorgesehen.
Gegen Mitternacht setzten die Basidschi das Ehepaar in den Wagen. Sie hatten ihnen die Augen verbunden und die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Es ging in Richtung Westen, an den Stadtrand, wo die weiten Pistazienfelder Kermans beginnen. Nach weniger als 20 Minuten bogen sie von der Hauptstraße auf einen staubigen Landweg ab. Am Himmel funkelten die Sterne, hell und betörend schön. Die Scheinwerfer des Autos strichen über die Pistazienbäume und ließen für einen kurzen Augenblick ihre dürren Äste aufflackern, als wären es schwarze, züngelnde Flammen. Schließlich brachten die Basidschi den Wagen zum Stehen. Sie schalteten den Motor aus, ließen das Scheinwerferlicht an.
Die Täter setzten sich abwechselnd auf die Opfer, bis sie ertrunken waren
Sie zerrten Reza und seine Frau aus dem Auto und schoben sie wie störrische Schafe vor sich her, einen Erdwall hoch, in den ein Kanal eingelassen war, der in ein Wasserbecken mündete. Hier wuschen die Bauern ihre Pistazien, bevor sie sie auf den Markt brachten. Auf der einen Seite rauschte das Wasser kraftvoll brodelnd aus einem Rohr in das Becken, auf der anderen Seite floss es friedlich plätschernd über den Kanal ab. Hamzeh schob Reza an den Rand des Beckens und schubste ihn, ohne zu zögern, hinein. Da das Becken nicht tiefer als 50 Zentimeter ist, ging Reza nicht unter. Hamzeh stieg in das Becken und drückte den gefesselten Reza mit aller Kraft unter Wasser, dann setzte er sich auf ihn. Auch die anderen Basidschi stiegen in das Becken. Sie wechselten sich ab, einmal setzte sich der eine auf Rezas Körper, einmal der andere, so lange, bis sich Reza nicht mehr bewegte. Danach ertränkten sie Rezas Frau auf die gleiche Weise, immer abwechselnd, jeder steuerte seinen Teil zum Mord bei.
»Richter Dustali sagte während des Prozesses: Wann stirbt ein Mensch, der unter Wasser gedrückt wird? Nach einer Minute, nach zwei, nach fünf oder gar nach zehn? Wir können es nicht bestimmen! Deswegen kann nur der als Mörder infrage kommen, der als Letzter die Opfer unter Wasser drückte!« Das erzählt, während er am Becken steht und in das trübe Wasser blickt, Hossein Nedschad-Malayeri, der Bruder des Ermordeten. »Und wissen Sie, wen das Gericht als Mörder bestimmt hat: Ali Maleki.«
Auf dem Foto, das fünf der sechs Täter zeigt, ist ein dicker junger Mann zu sehen, der seine mit Handschellen gefesselten Hände über den Bauch hält und etwas verstört in die Kamera blickt. Es ist Ali Maleki, von dem ganz Kerman weiß, dass er einen sehr niedrigen IQ hat und aus ärmsten Verhältnissen stammt. Er ist der Einzige, der wegen Mordes einsitzt und vermutlich hingerichtet wird. Die anderen fünf sind auf freiem Fuß, Hamzeh Mustafavi eingeschlossen. Er lebt jetzt angeblich in der Pilgerstadt Maschad, im Nordosten Irans, und hat dort die Tochter eines Mullahs geheiratet.
»Wie kann ein Mann seine Tochter an einen Mörder verheiraten?!«
Hossein sagt dies in einem sehr trockenen Ton. Es steckt keine Empörung in diesem Satz, es ist eine gedämpfte, glühende Wut, die zu spüren ist. Vielleicht ist dies das Ergebnis der Routine, die sich Hossein inzwischen angeeignet hat. Fünf Jahre ist es her, dass sein Bruder ermordet wurde, seither erzählt er die grausame Geschichte jedem, der sie hören will. Seit fünf Jahren kämpft er um Gerechtigkeit und bekommt sie nicht.
Wegen des Mordes an fünf Menschen wurden Hamzeh und seine Komplizen in erster Instanz zum Tode verurteilt, doch legten die Verteidiger Berufung ein. Das Oberste Gericht in Teheran verwies den Fall wieder nach Kerman, wo er neu verhandelt wurde. Man solle doch über eine Kompensation nachdenken, »Blutgeld« heißt es im Fachjargon. Es ist eine übliche Praxis, Morde damit zu sühnen. In Teheran wollte man die Sache möglichst geräuschlos aus der Welt schaffen, denn der Fall Hamzeh drohte zu einem politischen Skandal nationalen Ausmaßes zu werden.
Hamzeh hatte sich im Prozess mit dem Argument verteidigt, er habe als Basidschi nur Anordnungen befolgt und die islamischen Werte beschützt. Er berief sich dabei auf ein Gespräch, das er mit seinem Kommandanten in Kerman geführt haben wollte. »Wir waren bei Sojah Haidari zum Essen eingeladen. Er sagte zu uns: ›Es ist eure Aufgabe, die korrupten Elemente in unserer Gesellschaft auszumerzen!‹ Ich fragte ihn, was er damit meine, und er antwortete: ›Packt sie an der Wurzel, und reißt sie aus!‹«
»Wenn eure Augen eine Sünde sehen, dann müsst ihr handeln«
Haidari bestreitet dies. Das Gericht glaubte ihm. Die mögliche Verwicklung in den Fall hat Haidari nicht geschadet. Er wurde befördert. Heute ist er Gouverneur der Stadt Kerman.
Der Prozess überschritt die engen Grenzen der Provinz Kerman, als Hamzeh sich auf Ajatollah Mesbah Yazdi bezog. Er sei, so behauptet er, von den Reden des Ajatollah inspiriert worden und habe sich dadurch legitimiert gefühlt, die Morde zu begehen. Es drohte ein nationaler Skandal. Ajatollah Mesbah Yazdi nämlich zählt zu den geistigen Ziehvätern des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschad. Er steht im intellektuell-religiösen Zentrum der iranischen Hardliner.
Hamzeh bezog sich auf eine Rede, die der radikale Ajatollah im Jahr 2001 zum Moharram-Fest gehalten hatte. Mesbah Yazdi sagte dabei: »Wenn ihr seht, dass jemand an einer Straßenecke eine Sünde begeht, und ihr untätig bleibt und einfach vorbeigeht, dann bedeutet dies, dass ihr dieser Sünde zustimmt. Würdet ihr auch untätig bleiben, wenn jemand die Ehre eurer Familie beschmutzt? Das Gesetz Gottes ist die Reinheit Gottes. Wenn jemand die Reinheit Gottes beschmutzt und ihr untätig bleibt, dann bedeutet dies, dass ihr dieser Sünde zustimmt. Dann seid ihr der Feind Gottes. Wenn eure Augen eine Sünde sehen, dann habt ihr nicht das Recht, sie zu schließen, dann müsst ihr handeln…«
Ajatollah Mesbah Yazdi wiegelte ab. Er sehe keinen Zusammenhang zwischen seiner Rede und den Taten Hamzehs. Er habe nur in sehr allgemeiner Weise über die moralische Dekadenz in der Gesellschaft gesprochen, und es sei nicht seine Schuld, wenn jemand darum einen Mord begehe. Trotzdem, das Thema war auf dem Tisch: Dürfen die Basidschi Selbstjustiz üben? Ist es ihnen erlaubt zu töten, wenn sie es in der Absicht tun, den Islam zu schützen?
Die Richter in Teheran wollten es zunächst vermeiden, darüber zu entscheiden. Sie setzten auf das traditionelle Mittel des Blutgeldes, um den Mord an einem Angehörigen zu sühnen.
»Die Familien anderer Opfer haben Kompensationsgeld angenommen. Darum sind Hamzeh und seine vier Kumpane gegen Kaution freigekommen! Wir haben das nicht akzeptiert, wir werden weiterkämpfen.«
Hossein Nedschad-Malayeri sagt auch dies ohne jede erkennbare Emotion, ohne jeden Vorwurf. Selbst hier am Rande des Wasserbeckens, in dem sein Bruder ertränkt wurde wie ein krankes Tier, bleibt er bei seinem sachlichen Ton. Überhaupt wird er die ganze Zeit über bemerkenswert ruhig bleiben, fest in seiner Entschlossenheit, die Sache bis zum Ende durchzuziehen. Er handelt im Auftrag der Familie, hält Kontakt zu den Anwälten und redet mit den Medien, sofern welche kommen. Er exponiert sich sehr. Kerman ist ja nicht groß, und jeder weiß, wie umtriebig Hossein ist. »Angst«, sagt er, »habe ich nicht. Es kann immer etwas passieren, jederzeit. Das ist im Leben so.«
Hossein ist Automechaniker von Beruf, ein Praktiker durch und durch. Er will verstehen, wie eine Maschine funktioniert und warum sie versagt. Er ist auf der Suche nach Fehlerquellen, auch im Fall seines Bruders. Warum sind die Mörder auf freiem Fuß? Wie kann es sein, dass sie grausam morden und danach ein gutes Leben führen können, dass sie als anerkannte Mitglieder der Gesellschaft weiterleben können?
Was ist eine Rechtsprechung wert, wenn sie Selbstjustiz toleriert?
Die Antwort ist für ihn klar: »Das System hilft ihnen. Denn sie repräsentieren die Ideen des Systems.« Er sollte diese These bald bestätigt sehen. Nachdem seine Familie die Kompensation abgelehnt hatte, blieb es in Kerman bei dem Todesurteil für die Mörder. Der Fall ging wieder vor das Oberste Gericht. Die Richter entschieden schließlich im April vergangenen Jahres, dass fünf der sechs Angeklagten nicht mit dem Tod zu bestrafen seien. Sie hätten in dem Glauben getötet, dass ihre Opfer moralisch korrupt seien, mithin hätten sie den Islam und seine Werte verteidigen wollen.
Die Richter bezogen sich auf den berüchtigten Paragrafen 295, Artikel 2, des Strafgesetzbuches der Islamischen Republik Iran. Demnach muss jemand, »der einen anderen Menschen tötet im Glauben, dass dieser Mensch den Islam beschmutzt habe, Blutgeld zahlen. Erst recht für den Fall, dass das Opfer den Islam nicht beschmutzt hat, wird der Täter Kompensation zahlen müssen.« Zusätzlich zur Kompensation sind zwischen drei und maximal fünf Jahren Strafe vorgesehen.
Die geständigen Mörder kamen nach dem Urteilsspruch frei. Sie hatten schon drei Jahre lang in Untersuchungshaft gesessen, und man hatte eine Kaution hinterlegt. Nur der arme, beschränkte Ali Maleki blieb in Haft, gewissermaßen zum Zeichen dafür, dass Morden doch nicht ganz in Ordnung sei. Das Urteil bestätigte indirekt, dass Hamzeh sich mit gutem Recht auf Geistliche wie Ajatollah Mesbah Yazdi bezogen hatte. Morden im Namen des Islams – das ist in der Islamischen Republik Iran ideologisch und juristisch legitimiert.
Diese Legitimität bestreiten die Anwälte der Familie Nedschad-Malayeri. Jafari Yazdi hat die Familie im Kermaner Prozess vertreten. Er nahm das Mandat an, weil er »den Islam vor propagandistischen Angriffen aus Amerika schützen wollte«. Er weiß, dass der Fall Hamzeh einen Schwachpunkt im System der Islamischen Republik bloßlegt, einen Punkt, der das gesamte Gebäude der Rechtsprechung in Iran infrage stellen könnte. Denn was ist diese Rechtsprechung wert, wenn sie toleriert, dass Basidschi straflos im Namen des Islams morden können? Was passiert, wenn jeder zu Mitteln der Selbstjustiz greift? Und wer soll an die Unparteilichkeit der Justiz glauben, wenn gleichzeitig Homosexuelle nur deshalb hingerichtet werden, weil sie homosexuell sind?
Yazdi sieht nicht unbedingt wie ein Mann aus, der den Islam bei jeder Gelegenheit mit gezücktem Schwert verteidigen wollte. Er ist leidenschaftlicher Pferdezüchter, besitzt ein großes Grundstück außerhalb Kermans und verbirgt seinen Sinn fürs Geschäftliche nicht. »Alles Araberpferde«, sagt er mit sichtlichem Stolz, während er an den Stallungen vorbeigeht. »Wollen Sie eines kaufen? 35000 Euro kostet ein Pferd, das günstigste!« So redet keiner, der für die Ehre des Islams seine Karriere riskiert. Yazdi ist eher der Mann, der den Staat verteidigen will, der sich Islamische Republik Iran nennt. Es ist ein Staat, in dem er sich offenbar recht gut eingerichtet hat. Aber wie jeder andere Staat auch kann er nur dauerhaft Bestand haben, wenn er bei seinen Bürgern ein Mindestmaß an Legitimität gewinnt. Die Menschen müssen schon glauben, dass die Justiz unparteiisch ist, sie müssen schon glauben, dass dieser Staat ihnen ihre Rechte auch garantieren kann. Deshalb vertritt Yazdi die Familie Nedschad-Malayeri, aus wohlverstandener Staatsräson und wohl auch aus Eigeninteresse.
»Tatsächlich können Muslime Menschen, die sich amoralisch verhalten, bestrafen. Aber wenn es ein funktionierendes System der islamischen Rechtsprechung gibt, dürfen sie das Recht nicht in die eigene Hand nehmen. Damit machen sie sich strafbar.« Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit. Doch der Fall Hamzeh zeigt, dass dies in der Islamischen Republik Iran nicht so ist – und er weckt auch Erinnerungen an eine dunkle Zeit, die Zeit der Revolution.
Als zur Jahreswende 1978/79 die despotische Ordnung des Schahs zusammenbrach, hatten die Rachsüchtigen, die Fanatiker und die Gangster freie Bahn. Sie konnten sich zur Rechtfertigung ihrer Taten auf den Islam berufen. Verhaftung, Urteil, Exekution, das ging sehr schnell, manchmal im Minutentakt. Die revolutionären Gerichte waren der Deckmantel für den Blutrausch der Täter. Angst machte sich breit, bis in die Spitzen des neuen Staates, denn wer hier im Namen der Revolution tötete, das war der Mob, und der drohte völlig außer Kontrolle zu geraten.
Angesichts der um sich greifenden anarchischen Gewalt stellte Revolutionsführer Ajatollah Chomeini einen Kriterienkatalog auf, der aus acht Punkten bestand. Erst wenn alle diese acht Kriterien nicht greifen sollten, war ein Gläubiger frei, das Recht in die eigene Hand zu nehmen. Chomeini beanspruchte damit das Gewaltmonopol für die Islamische Republik, freilich sprach er sich selbst das Recht zu, dieses Monopol jederzeit wieder aufzuheben und die Kettenhunde der Revolution loszubinden. Er scheute 1989 nicht davor zurück, das Todesurteil gegen den Schriftsteller Salman Rushdie zu verhängen und es damit jedem Muslim freizustellen, den für vogelfrei erklärten Schriftsteller zu töten.
Trotzdem, der Anwalt Jafari Yazdi glaubt, »dass das System funktioniert«. Er hält die Morde in Kerman für eine Ausnahme, nicht für die Regel. Die Statistik gibt ihm recht, das vorläufige Urteil im Fall Hamzeh allerdings nicht. »Natürlich, es gibt eine Denkschule innerhalb des Systems, die besagt, Basidschi könnten korrupte Menschen eliminieren. Aber das wird von einer Minderheit vertreten.« Noch allerdings sind Hamzeh und die Seinen nicht bestraft, das endgültige Urteil wird die Vollversammlung des Obersten Gerichts, das aus 90 Richtern besteht, treffen – wann das geschehen wird, ist nicht klar.
Bis dahin wird Hossein Nedschad-Malayeri weiter die Geschichte seines Bruders und seiner Mörder erzählen. Er wird mit jedem, der es wünscht, aus der Stadt hinausfahren, in Richtung Norden, über eine breite, frisch asphaltierte Straße, und nach wenigen Kilometern in eine Sandpiste einbiegen, die mitten hineinführt in die Wüstenei Kermans. Hier, auf einer leichten sandigen Erhebung, zwischen brüchigen Sträuchern und von der Sonne hartgetrockneten Schlammkrusten, hat Hamzeh seinen ersten Mord begangen.
Seine Basidschi hatten den 19-jährigen Mosayeb Asfari verhaftet. Er betrieb im Basar einen fliegenden Verkaufsstand, an dem er religiöse Literatur anbot und CDs mit Predigten bekannter Mullahs. Vielleicht fühlte er sich deshalb sicher genug. Was sollte ihm schon passieren? Er war ja nicht der Einzige, der im Basar einen schwunghaften Handel mit illegalen Waren betrieb. Manchmal schien es ihm, als tolerierten die Behörden insgeheim diese Geschäfte, denn allzu leicht konnte er seine Ware verkaufen. Asfari hatte nicht mit dem Furor des Basidschi-Kommandanten Hamzeh gerechnet. Der verurteilte Asfari zum Tode. Hamzeh vollstreckte die Strafe so, wie es ihm der Koran vorschrieb. Er steinigte den Mann.
Doch hatten sie ein Problem, mit dem sie nicht gerechnet hatten: In der Einöde außerhalb Kermans gab es kaum Steine. Hamzeh stieg in das Auto und fuhr die Sandpiste weiter, bis er zwei große, schwere Steinbrocken fand. Er hob sie in den Kofferraum und fuhr zurück. Seine Basidschi hatten inzwischen eine Grube ausgehoben. Als sie sahen, wie Hamzeh ankam und die Steine aus dem Auto holte, befahlen sie ihrem Opfer, sich in die Grube zu legen. Hamzeh schleppte einen Stein die kleine Erhebung hoch. Er legte ihn auf den Boden und blickte noch einmal auf Asfari, der in dem Erdloch kauerte. Dann hob er den Stein auf und warf ihn mit aller Wucht auf den Kopf seines Opfers. Zu seiner Überraschung war Asfari nicht tot. Er führte das auf den weichen, sandigen Untergrund zurück, auf dem Asfari lag.
Daher befahl Hamzeh einem seiner Basidschi, den zweiten Stein, den er im Auto mitgebracht hatte, unter den Kopf Asfaris zu legen. Nachdem das geschehen war, warf er selbst den Stein noch einmal auf den Kopf des Opfers. Blut spritzte in alle Richtungen. Doch Asfari war immer noch nicht tot, der Körper zuckte und zitterte, unbeschreibliche Laute kamen aus dem geschundenen Menschen. Hamzeh gab den Befehl, ihn zu verscharren, obwohl er noch lebte. Auf einer Videoaufnahme, die der ZEIT vorliegt, ist zu sehen, wie Hamzeh vor den versammelten Ermittlern die Szene nachstellt. Er hebt den Stein kurz hoch, lässt ihn fallen und streut dann eine Handvoll Sand in die Grube.
»So haben wir das gemacht.«
Aus dem Hintergrund ist die Frage eines Ermittlers zu hören: »Weißt du, wie dein Opfer hieß?«
»Ich weiß es nicht, ich kann mich nicht erinnern.«
»Du hast ihn getötet und weißt nicht einmal, wie er heißt?«
Hamzeh blickt zu Boden. Dann hebt er den Kopf. Die Augen werden vom Sonnenlicht geblendet. Er sieht verkniffen geradeaus. Er wischt sich mit dem Finger etwas Staub von der Wange, knapp oberhalb des Vollbartes.
»Ich weiß nicht, wie er heißt. Ich kann mich nicht erinnern.«
Das entsetzliche Schauspiel der missglückten Steinigung hatte selbst die Mörder erschreckt. Sie suchten nach Möglichkeiten, die ihrem Gemüt weniger zusetzten, und fanden das Wasserbecken in den Pistazienfeldern. Dort ertränkten sie nicht nur Reza und seine Frau, sondern noch zwei weitere Opfer: Jamileh Amin Ismaeili und Mohsen Kamali. Die Frau bezichtigten sie der Prostitution, den Mann beschuldigten sie, Drogen verkauft zu haben. Sie schleppten die Leichen der beiden an die Stelle, wo sie Asfari gesteinigt hatten. Für das Verscharren der Getöteten schien ihnen der Platz noch gut genug zu sein. Allerdings versäumte es Hamzeh nicht, nach dem Mord einem islamischen Gebot zu gehorchen. Er ließ die Frau mehrere Meter entfernt verscharren. Mann und Frau in einem Grab, das gilt als unislamisch.
Hamzeh, der Mörder, galt allen als durch und durch normal
In dem Video ist zu sehen, wie Hamzeh auf die Stelle weist, an der sie die Frau begraben haben. Es ist ein dunkler Flecken Sand zwischen zwei matten Sträuchern.
Während des Prozesses saß Hamzeh in Haft, insgesamt waren es drei Jahre. Nach seiner Freilassung im Frühjahr 2005 hielt er sich 14 Tage lang in einer psychiatrischen Klinik auf. Die behandelnden Ärzte kamen zu dem Schluss, dass Hamzeh an Depressionen litt, doch konnte keiner von ihnen Aussagen über seinen psychischen Zustand zur Tatzeit machen. Die Morde, sagten die Ärzte, lägen zu lange zurück, um eine klare Diagnose stellen zu können. Während des Prozesses forderte niemand ein psychiatrisches Gutachten ein, auch nicht die Verteidigung. Hamzeh also galt allen als durch und durch normal, allen erschien er als zurechnungsfähig trotz seiner grausamen Taten.
Ein Spaziergang durch das Zentrum Kermans hilft, die Normalität zu begreifen, von der im Falle Hamzehs die Rede ist. An allen strategischen Stellen sind überdimensionierte Abbildungen Kermaner Männer zu sehen, die im Krieg gegen den Irak gefallen sind. Es handelt sich dabei um Tableaus aus fein ziselierten Fliesen. Sie sind für eine lange Dauer gefertigt, nicht für kurze Zeit wie die vielen Plakate, die auch zu sehen sind und ebenfalls vom Heldentum der Krieger erzählen.
Im Zentrum der Tableaus ist das Gesicht des Märtyrers auf himmelblauem Hintergrund zu sehen, Tulpen, das Symbol des vergossenen Blutes, iranische Flaggen und der Namenszug umrahmen das Abbild. Ganz gleich, aus welcher Himmelsrichtung man nach Kerman kommt, ganz gleich, in welcher Himmelsrichtung man es verlässt, immer begegnet man einem toten Helden. Es gibt kein Entkommen. Das Regime will es so.
Mit allen Mitteln zelebriert es den Kult des Märtyrers. Radio, Fernsehen, Zeitungen werden nicht müde, über die Opferbereitschaft der Basidschi zu sprechen, und der oberste Führer der Islamischen Republik, Ali Chamenei, verschickt an die iranischen Nutzer von Mobiltelefonen diese Nachricht: »Die Basidschi halten das Erbe Imam Chomeinis wach. Sie sind das wahre Kapital der Nation.«
Das Regime hat gerade die »Woche der Basidschi« ausgerufen, es ist eine von oben dekretierte Festwoche zu Ehren der Freiwilligen der Revolution. Die Propagandamaschine läuft auf vollen Touren – doch greifen kann sie nur, wenn dieser aufgeblasene, verzerrte Mythos eine Entsprechung in der Wirklichkeit findet, zum Beispiel in der Familie Hamzehs.
Da ist Hamzehs Onkel Scheich Hassan Mustafavis, der zu Beginn des Krieges mit dem Irak in seinem Flugzeug abgeschossen wurde; da ist ein zweiter Onkel namens Scheich Mohammad Mustafavi, der während der berüchtigten Kerbala-Offensive Nummer 5 im Krieg gegen den Irak ums Leben kam und dafür eines der großen Tableaus an einer zentralen Straßenkreuzung in Kerman erhielt. Hamzeh wuchs unter dem Eindruck dieser Gestalten auf; ihre Opferbereitschaft, ihre Hingabe warfen einen langen, schweren Schatten über sein junges Leben. Der Krieg war Teil seines Familienlebens, von Kindesbeinen an.
Seine Helden waren alle tot, und manchmal hatten sie selbst auf hinterhältige Weise gemordet. Ein Onkel mütterlicherseits hatte noch während der Zeit des Schahs eine Frau aus der Nachbarschaft erstickt, weil sie sich seiner Meinung nach unmoralisch verhalten hatte. Solange der Schah noch regierte, schwieg der Mörder, und die Polizei fand ihn nicht. Als der Schah aber gestürzt war, offenbarte sich Hamzehs Onkel als der Mörder der »amoralischen« Nachbarin – das hat ihm Respekt und Ansehen gebracht. Er trug den Mord an dieser Frau wie eine Auszeichnung vor sich her. Das tat er aus gutem Grund. Es waren ja die Zeiten angebrochen, in denen die Tötung unmoralischer Elemente die eigene Karriere beförderte.
Hamzeh wurde mitten hineingeboren in das dunkle Herz der Revolution, in dem das eigene Blut wie das Blut anderer im Namen einer größeren Sache bedenkenlos vergossen wurde. Hamzeh war kein Außenseiter. Er konnte mit stolzgeschwellter Brust durch Kerman gehen. Doch etwas Entscheidendes fehlte ihm: die Chance, sich im Kampf zu bewähren. Das konnte angesichts der Vorbilder in der Familie leicht zu einem Gefühl der Unterlegenheit, ja der Minderwertigkeit führen.
Hossein Nedschad-Malayeri hat sich in den vergangenen fünf Jahren viel mit Hamzehs Geschichte auseinandergesetzt. In erster Linie will er Gerechtigkeit, aber er will auch verstehen, warum er seinen Bruder verloren hat und wer dieser Mörder ist, was ihn treibt und wie er denkt. »Ich glaube, dass Hamzeh in seinem Basidschi-Wachtposten den Krieg imitiert hat und dass er das Gefühl hatte, die Stadt sei von Feinden infiltriert.«
Das klingt verrückt, doch es liegt ganz auf der Linie der propagandistischen Parolen des Regimes, der Feind, die Dekadenz, die Unmoral lauerten überall. Und war der Basar nicht ein geeignetes Einfallstor für diese feindlichen Elemente? Wimmelte es dort nicht von Menschen zweifelhafter Herkunft und mit unbestimmtem Gewerbe? Was treiben eigentlich die Afghanen hier, die Balutschen, die Iraker?
Kerman liegt mitten auf der Schmuggelroute für afghanisches Opium, es ist Durchgangsstation und Zielort zugleich. Wie überall in Iran ist auch hier der Drogenkonsum unter Jugendlichen weitverbreitet. Der Stoff ist leicht zu haben, das Gefühl der Ausweglosigkeit allgegenwärtig. Die Profite aus diesem Geschäft sind hoch, die Gefahr, geschnappt zu werden, ist nicht allzu groß. In den weiten Flächen der Provinz, in den Wüsten und Bergen franst die iranische Staatsgewalt aus.
Die Hunde eines Hirten hatten das Grab der Ermordeten ausgebuddelt
Die Grenze zu Afghanistan ist nicht allzu weit, und dort werden 90 Prozent des gesamten Opiums der Welt produziert. Polizei und Armee führen einen regelrechten Krieg gegen Schmuggler, Aufständische, Rebellen. Jedes Jahr kommt es zu Hunderten von Scharmützeln, Dutzende Soldaten sterben. In dieser Umgebung konnte einer wie Hamzeh schon das Gefühl entwickeln, er stehe mitten an der Front, in einem existenziellen Abwehrkampf. Und als wäre das alles noch nicht genug, droht der Islamischen Republik auch Gefahr von politischer Seite.
Als Hamzeh und seine Basidschi die Morde begingen, im Jahre 2001, da war der Reformer Mohammed Chatami Präsident. Die iranische Gesellschaft schien in Richtung Westen aufbrechen zu wollen, in Richtung Konsum, Liberalität, Freizügigkeit. Damals kämpften die konservativen Kräfte in Justiz und Polizei mit allen Mitteln gegen die Öffnung der Gesellschaft. Es lässt sich gut vorstellen, wie im Hause Mustafavi über die Reformbewegung gedacht wurde. Hamzehs Vater ist eine stadtbekannte Figur, ein stramm religiöser Mann, der im Basar einen Textilhandel betreibt. »Alles, was Sie für Mekka brauchen!«, steht auf dem Schild über dem Geschäft. Auch in seiner eigenen Familie ist Hamzeh wohl bestärkt worden, dass es einen Krieg auszufechten gelte gegen die eigenen Landsleute, die den Islam verrieten. Die konservativen Kräfte in Iran nahmen die Reformbewegung als eine tödliche Bedrohung wahr – und sie waren nicht bereit, zurückzuweichen.
Was die Mittel in diesem Kampf anbelangte, so konnte Hamzeh von der Staatsmacht lernen, was alles erlaubt war. Gedungene Mörder des Geheimdienstes brachten eine Reihe oppositioneller Schriftsteller um, Sondereinheiten knüppelten rebellierende Studenten nieder, misshandelten sie und sperrten sie weg. Menschen verschwanden, andere tauchten wieder auf, die verängstigt schwiegen und um keinen Preis berichten wollten, was ihnen widerfahren war. Es gab keine Schonung. Warum sollte da ein junger Kommandant eines kleinen Basidschi-Wachtpostens in einer herben iranischen Provinzstadt weich sein?
Aufgeflogen ist Hamzeh, weil ein Hirte sich wunderte, woher seine Hunde das Fleisch genommen hatten, mitten in der Wüste. Sie hatten das Grab der Ermordeten ausgebuddelt. Aufgeflogen ist Hamzeh, weil er mit Reza Nedschad-Malayeri und seiner Frau Shorah Nikpour Mitglieder einer bekannten Familie aus Kerman umgebracht hatte. Nach den anderen Opfern hatte keiner gesucht. Sie waren eben verschwunden – wohin? Vielleicht nach Yazd, nach Shiraz, nach Isfahan, nach Teheran, irgendwohin. Sie waren arm, unbedeutend, in den Augen Hamzehs Abschaum, und wer fragte schon nach Abschaum?
Doch bei diesem Ehepaar war es anders. Die Angehörigen forschten nach. Die Polizei musste ermitteln. Es dauerte nicht lange, und sie wurde fündig. Die Mörder hatten die Mobiltelefone ihrer Opfer verkauft, die SIM-Karten allerdings behalten. Das hatten sie bei allen Ermordeten so gehalten. Sie hofften, auf diese Weise weitere »amoralische Elemente« ausfindig zu machen – wer anrief, der war verdächtig, dessen Spur wollten sie aufnehmen, der konnte das nächste Opfer werden. Das erklärt aber nicht, warum sie die SIM-Karten des Ehepaares behielten. Wahrscheinlich aus Nachlässigkeit, aus Gewohnheit.
Hamzeh und seine Männer waren grausam, entschlossen, hinterhältig, doch professionelle Killer waren diese jungen Männer nicht. Sie waren zur Tatzeit zwischen 21 und 26 Jahre alt und mit dem Handwerk des Tötens noch nicht vertraut. Das zeigt die missglückte Steinigung, das zeigt ihr stümperhafter Umgang mit den SIM-Karten. Vielleicht fühlten sie sich einfach nur zu sicher. Nemat Ahmadi, der Anwalt, der die Familie Nedschad-Malayeri vor dem Obersten Gericht in Teheran vertritt, sagt: »Die Basidschi sind im Machtrausch. Sie sind besoffen von Macht.«
Vor Gericht behauptete Hamzeh, nicht gewusst zu haben, dass die beiden verheiratet waren, dass er mithin aus dem Glauben heraus gehandelt habe, eine »unmoralische Verbindung« zu bestrafen. Doch das ist unwahrscheinlich. Shorah Nikpour wohnte zwei Straßen von Hamzeh entfernt, in der Nähe des Basars. Ein Onkel Hamzehs hatte zu Zeiten des Schahs zusammen mit Shorahs Vater im Gefängnis gesessen. »Er hat die beiden umgebracht«, sagt Hossein Nedschad-Malayeri, »weil er fürchtete, dass die anderen Morde auffliegen könnten. Er wollte sie zum Schweigen bringen!«
Erreicht hat er das Gegenteil.
Als Hamzeh verhaftet wurde, konnte er damit rechnen, dass es mit den Familien Nedschad-Malayeri und Nikpour zu einer Einigung über ein zu zahlendes Blutgeld kommen würde. Wenn das gelänge, hätte er drei bis fünf Jahre absitzen müssen. Das wusste er. Tatsächlich kamen Emissäre zu den Familien der Ermordeten, um zu verhandeln. Einer von ihnen verwies darauf, dass die Familien Mustafavi und Nikpour durch das gemeinsam erfahrene Leid in den Kerkern des Schahs doch verbunden seien, eine Lösung deshalb doch zu finden sein müsse. So eng ist das Netz in Kerman gewoben, das Hamzeh auffangen sollte.
Eine düstere, unheimliche Atmosphäre liegt über dem ganzen Fall
Wer die Bestrafung Hamzehs und seiner Mittäter anstrebt, lebt nicht ohne Risiko. Der Anwalt Nemat Ahmadi in Teheran sagt, dass er »aus Vorsicht« sein Büro immer mit den Angestellten verlasse. Ahmadis Anwaltskollege aus Kerman, Jafari Yazdi, berichtet, dass es »Drohungen und Einschüchterungen gegeben hat«. Er wisse nicht, wer dahinterstecke, sagt Yazdi und fügt hinzu: »Der Fall ist so brisant, dass man sich nicht einschüchtern lassen darf.«
Eine düstere, unheimliche Atmosphäre liegt über dem ganzen Fall, eine drohende Dunkelheit, aus der jederzeit ein Schlag kommen kann. Was ist, wenn Hamzeh im Auftrag gehandelt hat? Wenn er auf freiem Fuß bleibt, weil er für weitere Aufgaben gebraucht wird? Das System hat schon manchen Mörder losgeschickt, der seinen Auftrag eiskalt ausgeführt hat.
Hossein Nedschad-Malayeri lässt sich davon nicht beeindrucken. Und wenn er auch Angst hätte – was, so denkt er, ist das bisschen Angst schon gegen das, was seinem Bruder widerfahren ist? Es ist ihm zugefallen, im Namen der Familie nach Gerechtigkeit zu verlangen, weil er zu seinem Bruder eine besondere Beziehung hatte.
»Er war vier Jahre jünger als ich. Wissen Sie, ich habe ihn immer zur Schule gebracht. Ich habe mich um ihn gekümmert. Ich habe darauf geachtet, dass ihm nichts passiert!«
»Und nun wollen Sie ihn auch über seinen Tod hinaus beschützen?«
»Ja, sicher. Stellen Sie sich vor, eines Tages kam er mit einer blutig geschlagenen Nase nach Hause. Natürlich wollte ich wissen, wer das getan hat. Ich mache jetzt das, was ich gemacht habe, als er noch lebte!«
Noch ist das endgültige Urteil über den Mörder Hamzeh Mustafavi nicht gesprochen. Doch schon arbeitet man am Vergessen dieses Falles. Hamzeh entzieht sich ins Unwirkliche. Am späten Abend empfängt uns der Sicherheitschef der Provinz Kerman, ein Mann, der immer zur Decke schaut, wenn er auf Fragen antwortet, und diese Antworten so kurz hält, dass man kaum Zeit hat, sich eine neue Frage zu überlegen. Das geschieht auch, als er auf die Morde der Basidschi angesprochen wird.
»Es gab in Kerman doch diesen Fall, bei dem Basidschi mehrere Menschen ermordet haben. Sie wissen Bescheid?«
»Basidschi? Es gibt keinen solchen Fall.«
Dann schaut er wieder zur Decke.
Die Freiheit der Mörder
www.zeit.de
Die Basidschi verstehen sich als Religionswächter in Iran. Sie töten nach Belieben. Ein Mord in der Provinzstadt Kerman zeigt, mit welcher Brutalität sie vorgehen. Politik und Justiz schützen sie
Von Ulrich Ladurner
Hamzeh Mustafavi kam zu spät für die Revolution und zu spät für den Krieg, und deshalb wurde er zum Mörder. Der Tod war immer ein Teil von Hamzehs Leben gewesen, nicht als Schrecken, sondern als Erlösung, als Feier und eigentliche Bestimmung des Gläubigen. Hamzeh wäre gern einen Märtyrertod gestorben, im Kampf gegen den Schah oder auf dem Schlachtfeld des Iranisch-Irakischen Krieges. Doch die Gelegenheit bot sich ihm nicht, da er zu spät geboren wurde. Fünf Menschen haben dafür mit dem Leben bezahlt.
Mattes Licht liegt über der Stadt an diesem kalten Novembertag, ab und an fegt eine eisige Brise durch die Straßen von Kerman. Die wenigen Passanten eilen lustlos durch den Basar, vorbei an dick eingekleideten Verkäufern, die so teilnahmslos dasitzen, als erwarteten sie gar nicht, dass ihnen jemand etwas abkaufe. Straßenkinder lungern unter den hohen Bogengängen herum, in schmutzigen Kleidern und mit löchrigem Schuhwerk. Die jungen Männer trotzen dem Wetter und machen sich auf die Suche nach allem, was Aufregung und Spaß verspricht, manchmal ist es ein harmloser Streich, manchmal ist es der Konsum einer gefährlichen Droge.
Ungewöhnlich still ist es in diesem Basar, und doch meint man in seinem tiefen Inneren das Pochen eines wilden Herzens zu spüren. Irgendwo schlägt es, in den halb verfallenen Lagerhäusern, in dunklen Kellern, auf düsteren Dachböden und unter schattigen Torbögen. Wer die Sinne schärft, kann ein leises Zittern spüren, das in regelmäßigen Abständen durch den labyrinthischen Körper des Basars fährt, ein unterirdisches Grollen, ein Fauchen und Zischen. Hamzeh muss es gefühlt haben – und er muss es gehasst haben, denn er zog aus, um dieses ungezähmte Herz mit Stumpf und Stiel zu vernichten.
Ajatollah Chomeini gründete die Basidschi, um den Islam zu schützen
An einem kalten, bleichen Tag wie diesem schwärmten der 21-jährige Hamzeh und seine vier Kameraden aus, um die Stadt von »korrupten Elementen« zu säubern. Die jungen Männer, der älteste war 25 Jahre alt, waren Mitglieder der Basidschi, der Freiwilligen der Islamischen Republik Iran.
Ajatollah Ruhollah Chomeini hatte diese Organisation ins Leben gerufen, um die Revolution und den Islam vor ihren Feinden zu schützen. Im Krieg gegen den Irak, der von 1980 bis 1988 dauerte, sind die Basidschi zu Tausenden über die Minenfelder gelaufen, um den nachfolgenden Einheiten der Armee den Weg frei zu machen. Sie trugen einen Schlüssel um den Hals, den Schlüssel zum Paradies. Chomeini selbst hatte ihnen versprochen, dass sie ins Himmelreich kämen, wenn sie sich opferten. Sie glaubten es.
Die meisten Basidschi waren minderjährig, viele dem Knabenalter noch nicht entwachsen. Es gab ein Gesetz, wonach über Zwölfjährige auch ohne Zustimmung der Eltern rekrutiert werden konnten. Das tausendfache Massaker an diesen iranischen Kindern stellt das Regime heute als den ultimativen Beweis für die Opferbereitschaft des eigenen Volkes dar. Der Krieg ist zwar seit fast 20 Jahren zu Ende, doch die Basidschi leben in einem permanenten Zustand der Mobilisierung – und da es im Augenblick mit einem äußeren Feind (noch) keinen Krieg auszufechten gibt, richtet sich diese aggressive Energie nach innen, gegen alles, was nicht konform geht mit der Revolution.
Hamzeh war Kommandant der Basidschi-Station Schaheed Mollai, die in einer kleinen Moschee, ein paar Gehminuten vom Basar entfernt, untergebracht war. Hier in diesen verwinkelten, heruntergekommenen Gassen hatte Hamzeh die Aufgabe übernommen, amoralisches Verhalten zu ahnden. Und davon gab es in seinen Augen mehr als genug. Alkohol, Drogen, Prostitution oder was er dafür hielt.
An jenem Novembertag des Jahres 2001 knöpfte sich Hamzeh den jungen Hadi Yazdan vor, der im Basar heimlich Alkohol verkaufte. Gegen Abend stellten Hamzeh und die Seinen ihn in einer engen Straße, rund einen Kilometer vom Basar entfernt, zur Rede. Yazdan wehrte sich gegen die Anschuldigungen. Es kam zu einem lauten Wortwechsel. Das Geschrei weckte die Aufmerksamkeit von Mohammed Reza Nedschad-Malayeri und seiner Frau Shorah Nikpour, die zufällig vorbeispazierten. In der hereinbrechenden Dunkelheit konnten sie nicht genau erkennen, was vor sich ging. Deshalb näherte sich das Paar den Streitenden. Als sie die Basidschi-Uniformen erkannten, machten sie kehrt, liefen zu ihrem Wagen und setzten sich hinein, um so schnell wie möglich wegzukommen. Sie hatten nichts verbrochen, doch fürchteten sie sich vor der Unberechenbarkeit der Basidschi. Zu spät.
Noch bevor Reza den Wagen starten konnte, zertrümmerten die Basidschi die Scheiben. Hamzeh griff sich den Wagenschlüssel, dann zerrten sie Reza auf den Beifahrersitz. Hamzeh setzte sich ans Steuer. Zwei Basidschi drängten sich zu Rezas Frau auf die Hinterbank. Sie fuhren in Richtung Basar. In einem zweiten Wagen folgten die drei anderen Basidschi, die den Alkoholhändler Yazdani festgenommen hatten. Nach wenigen Minuten erreichten sie den Schaheed-Mollai-Wachtposten. Sie fesselten die drei.
Hamzeh nahm den Koran in die Hand und hielt den Verhafteten ihre Vergehen vor. Yazdani flehte und bettelte. Hamzeh konsultierte den Koran, blätterte, las, blätterte und kam schließlich zum Schluss, dass er den Mann freilassen konnte. Er hatte zwar gegen die islamischen Gesetze verstoßen, aber Hamzeh sah in ihm echte Reue aufkeimen und ließ daher Milde walten. Er muss in diesem Augenblick all seine Macht gespürt haben, die Macht über Leben und Tod. Das Ehepaar Nedschad-Malayeri hielt er weiter fest. Er warf ihnen vor, eine »illegitime Verbindung« zu unterhalten. Das war unverzeihlich. Er hatte dafür eine furchtbare Strafe vorgesehen.
Gegen Mitternacht setzten die Basidschi das Ehepaar in den Wagen. Sie hatten ihnen die Augen verbunden und die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Es ging in Richtung Westen, an den Stadtrand, wo die weiten Pistazienfelder Kermans beginnen. Nach weniger als 20 Minuten bogen sie von der Hauptstraße auf einen staubigen Landweg ab. Am Himmel funkelten die Sterne, hell und betörend schön. Die Scheinwerfer des Autos strichen über die Pistazienbäume und ließen für einen kurzen Augenblick ihre dürren Äste aufflackern, als wären es schwarze, züngelnde Flammen. Schließlich brachten die Basidschi den Wagen zum Stehen. Sie schalteten den Motor aus, ließen das Scheinwerferlicht an.
Die Täter setzten sich abwechselnd auf die Opfer, bis sie ertrunken waren
Sie zerrten Reza und seine Frau aus dem Auto und schoben sie wie störrische Schafe vor sich her, einen Erdwall hoch, in den ein Kanal eingelassen war, der in ein Wasserbecken mündete. Hier wuschen die Bauern ihre Pistazien, bevor sie sie auf den Markt brachten. Auf der einen Seite rauschte das Wasser kraftvoll brodelnd aus einem Rohr in das Becken, auf der anderen Seite floss es friedlich plätschernd über den Kanal ab. Hamzeh schob Reza an den Rand des Beckens und schubste ihn, ohne zu zögern, hinein. Da das Becken nicht tiefer als 50 Zentimeter ist, ging Reza nicht unter. Hamzeh stieg in das Becken und drückte den gefesselten Reza mit aller Kraft unter Wasser, dann setzte er sich auf ihn. Auch die anderen Basidschi stiegen in das Becken. Sie wechselten sich ab, einmal setzte sich der eine auf Rezas Körper, einmal der andere, so lange, bis sich Reza nicht mehr bewegte. Danach ertränkten sie Rezas Frau auf die gleiche Weise, immer abwechselnd, jeder steuerte seinen Teil zum Mord bei.
»Richter Dustali sagte während des Prozesses: Wann stirbt ein Mensch, der unter Wasser gedrückt wird? Nach einer Minute, nach zwei, nach fünf oder gar nach zehn? Wir können es nicht bestimmen! Deswegen kann nur der als Mörder infrage kommen, der als Letzter die Opfer unter Wasser drückte!« Das erzählt, während er am Becken steht und in das trübe Wasser blickt, Hossein Nedschad-Malayeri, der Bruder des Ermordeten. »Und wissen Sie, wen das Gericht als Mörder bestimmt hat: Ali Maleki.«
Auf dem Foto, das fünf der sechs Täter zeigt, ist ein dicker junger Mann zu sehen, der seine mit Handschellen gefesselten Hände über den Bauch hält und etwas verstört in die Kamera blickt. Es ist Ali Maleki, von dem ganz Kerman weiß, dass er einen sehr niedrigen IQ hat und aus ärmsten Verhältnissen stammt. Er ist der Einzige, der wegen Mordes einsitzt und vermutlich hingerichtet wird. Die anderen fünf sind auf freiem Fuß, Hamzeh Mustafavi eingeschlossen. Er lebt jetzt angeblich in der Pilgerstadt Maschad, im Nordosten Irans, und hat dort die Tochter eines Mullahs geheiratet.
»Wie kann ein Mann seine Tochter an einen Mörder verheiraten?!«
Hossein sagt dies in einem sehr trockenen Ton. Es steckt keine Empörung in diesem Satz, es ist eine gedämpfte, glühende Wut, die zu spüren ist. Vielleicht ist dies das Ergebnis der Routine, die sich Hossein inzwischen angeeignet hat. Fünf Jahre ist es her, dass sein Bruder ermordet wurde, seither erzählt er die grausame Geschichte jedem, der sie hören will. Seit fünf Jahren kämpft er um Gerechtigkeit und bekommt sie nicht.
Wegen des Mordes an fünf Menschen wurden Hamzeh und seine Komplizen in erster Instanz zum Tode verurteilt, doch legten die Verteidiger Berufung ein. Das Oberste Gericht in Teheran verwies den Fall wieder nach Kerman, wo er neu verhandelt wurde. Man solle doch über eine Kompensation nachdenken, »Blutgeld« heißt es im Fachjargon. Es ist eine übliche Praxis, Morde damit zu sühnen. In Teheran wollte man die Sache möglichst geräuschlos aus der Welt schaffen, denn der Fall Hamzeh drohte zu einem politischen Skandal nationalen Ausmaßes zu werden.
Hamzeh hatte sich im Prozess mit dem Argument verteidigt, er habe als Basidschi nur Anordnungen befolgt und die islamischen Werte beschützt. Er berief sich dabei auf ein Gespräch, das er mit seinem Kommandanten in Kerman geführt haben wollte. »Wir waren bei Sojah Haidari zum Essen eingeladen. Er sagte zu uns: ›Es ist eure Aufgabe, die korrupten Elemente in unserer Gesellschaft auszumerzen!‹ Ich fragte ihn, was er damit meine, und er antwortete: ›Packt sie an der Wurzel, und reißt sie aus!‹«
»Wenn eure Augen eine Sünde sehen, dann müsst ihr handeln«
Haidari bestreitet dies. Das Gericht glaubte ihm. Die mögliche Verwicklung in den Fall hat Haidari nicht geschadet. Er wurde befördert. Heute ist er Gouverneur der Stadt Kerman.
Der Prozess überschritt die engen Grenzen der Provinz Kerman, als Hamzeh sich auf Ajatollah Mesbah Yazdi bezog. Er sei, so behauptet er, von den Reden des Ajatollah inspiriert worden und habe sich dadurch legitimiert gefühlt, die Morde zu begehen. Es drohte ein nationaler Skandal. Ajatollah Mesbah Yazdi nämlich zählt zu den geistigen Ziehvätern des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschad. Er steht im intellektuell-religiösen Zentrum der iranischen Hardliner.
Hamzeh bezog sich auf eine Rede, die der radikale Ajatollah im Jahr 2001 zum Moharram-Fest gehalten hatte. Mesbah Yazdi sagte dabei: »Wenn ihr seht, dass jemand an einer Straßenecke eine Sünde begeht, und ihr untätig bleibt und einfach vorbeigeht, dann bedeutet dies, dass ihr dieser Sünde zustimmt. Würdet ihr auch untätig bleiben, wenn jemand die Ehre eurer Familie beschmutzt? Das Gesetz Gottes ist die Reinheit Gottes. Wenn jemand die Reinheit Gottes beschmutzt und ihr untätig bleibt, dann bedeutet dies, dass ihr dieser Sünde zustimmt. Dann seid ihr der Feind Gottes. Wenn eure Augen eine Sünde sehen, dann habt ihr nicht das Recht, sie zu schließen, dann müsst ihr handeln…«
Ajatollah Mesbah Yazdi wiegelte ab. Er sehe keinen Zusammenhang zwischen seiner Rede und den Taten Hamzehs. Er habe nur in sehr allgemeiner Weise über die moralische Dekadenz in der Gesellschaft gesprochen, und es sei nicht seine Schuld, wenn jemand darum einen Mord begehe. Trotzdem, das Thema war auf dem Tisch: Dürfen die Basidschi Selbstjustiz üben? Ist es ihnen erlaubt zu töten, wenn sie es in der Absicht tun, den Islam zu schützen?
Die Richter in Teheran wollten es zunächst vermeiden, darüber zu entscheiden. Sie setzten auf das traditionelle Mittel des Blutgeldes, um den Mord an einem Angehörigen zu sühnen.
»Die Familien anderer Opfer haben Kompensationsgeld angenommen. Darum sind Hamzeh und seine vier Kumpane gegen Kaution freigekommen! Wir haben das nicht akzeptiert, wir werden weiterkämpfen.«
Hossein Nedschad-Malayeri sagt auch dies ohne jede erkennbare Emotion, ohne jeden Vorwurf. Selbst hier am Rande des Wasserbeckens, in dem sein Bruder ertränkt wurde wie ein krankes Tier, bleibt er bei seinem sachlichen Ton. Überhaupt wird er die ganze Zeit über bemerkenswert ruhig bleiben, fest in seiner Entschlossenheit, die Sache bis zum Ende durchzuziehen. Er handelt im Auftrag der Familie, hält Kontakt zu den Anwälten und redet mit den Medien, sofern welche kommen. Er exponiert sich sehr. Kerman ist ja nicht groß, und jeder weiß, wie umtriebig Hossein ist. »Angst«, sagt er, »habe ich nicht. Es kann immer etwas passieren, jederzeit. Das ist im Leben so.«
Hossein ist Automechaniker von Beruf, ein Praktiker durch und durch. Er will verstehen, wie eine Maschine funktioniert und warum sie versagt. Er ist auf der Suche nach Fehlerquellen, auch im Fall seines Bruders. Warum sind die Mörder auf freiem Fuß? Wie kann es sein, dass sie grausam morden und danach ein gutes Leben führen können, dass sie als anerkannte Mitglieder der Gesellschaft weiterleben können?
Was ist eine Rechtsprechung wert, wenn sie Selbstjustiz toleriert?
Die Antwort ist für ihn klar: »Das System hilft ihnen. Denn sie repräsentieren die Ideen des Systems.« Er sollte diese These bald bestätigt sehen. Nachdem seine Familie die Kompensation abgelehnt hatte, blieb es in Kerman bei dem Todesurteil für die Mörder. Der Fall ging wieder vor das Oberste Gericht. Die Richter entschieden schließlich im April vergangenen Jahres, dass fünf der sechs Angeklagten nicht mit dem Tod zu bestrafen seien. Sie hätten in dem Glauben getötet, dass ihre Opfer moralisch korrupt seien, mithin hätten sie den Islam und seine Werte verteidigen wollen.
Die Richter bezogen sich auf den berüchtigten Paragrafen 295, Artikel 2, des Strafgesetzbuches der Islamischen Republik Iran. Demnach muss jemand, »der einen anderen Menschen tötet im Glauben, dass dieser Mensch den Islam beschmutzt habe, Blutgeld zahlen. Erst recht für den Fall, dass das Opfer den Islam nicht beschmutzt hat, wird der Täter Kompensation zahlen müssen.« Zusätzlich zur Kompensation sind zwischen drei und maximal fünf Jahren Strafe vorgesehen.
Die geständigen Mörder kamen nach dem Urteilsspruch frei. Sie hatten schon drei Jahre lang in Untersuchungshaft gesessen, und man hatte eine Kaution hinterlegt. Nur der arme, beschränkte Ali Maleki blieb in Haft, gewissermaßen zum Zeichen dafür, dass Morden doch nicht ganz in Ordnung sei. Das Urteil bestätigte indirekt, dass Hamzeh sich mit gutem Recht auf Geistliche wie Ajatollah Mesbah Yazdi bezogen hatte. Morden im Namen des Islams – das ist in der Islamischen Republik Iran ideologisch und juristisch legitimiert.
Diese Legitimität bestreiten die Anwälte der Familie Nedschad-Malayeri. Jafari Yazdi hat die Familie im Kermaner Prozess vertreten. Er nahm das Mandat an, weil er »den Islam vor propagandistischen Angriffen aus Amerika schützen wollte«. Er weiß, dass der Fall Hamzeh einen Schwachpunkt im System der Islamischen Republik bloßlegt, einen Punkt, der das gesamte Gebäude der Rechtsprechung in Iran infrage stellen könnte. Denn was ist diese Rechtsprechung wert, wenn sie toleriert, dass Basidschi straflos im Namen des Islams morden können? Was passiert, wenn jeder zu Mitteln der Selbstjustiz greift? Und wer soll an die Unparteilichkeit der Justiz glauben, wenn gleichzeitig Homosexuelle nur deshalb hingerichtet werden, weil sie homosexuell sind?
Yazdi sieht nicht unbedingt wie ein Mann aus, der den Islam bei jeder Gelegenheit mit gezücktem Schwert verteidigen wollte. Er ist leidenschaftlicher Pferdezüchter, besitzt ein großes Grundstück außerhalb Kermans und verbirgt seinen Sinn fürs Geschäftliche nicht. »Alles Araberpferde«, sagt er mit sichtlichem Stolz, während er an den Stallungen vorbeigeht. »Wollen Sie eines kaufen? 35000 Euro kostet ein Pferd, das günstigste!« So redet keiner, der für die Ehre des Islams seine Karriere riskiert. Yazdi ist eher der Mann, der den Staat verteidigen will, der sich Islamische Republik Iran nennt. Es ist ein Staat, in dem er sich offenbar recht gut eingerichtet hat. Aber wie jeder andere Staat auch kann er nur dauerhaft Bestand haben, wenn er bei seinen Bürgern ein Mindestmaß an Legitimität gewinnt. Die Menschen müssen schon glauben, dass die Justiz unparteiisch ist, sie müssen schon glauben, dass dieser Staat ihnen ihre Rechte auch garantieren kann. Deshalb vertritt Yazdi die Familie Nedschad-Malayeri, aus wohlverstandener Staatsräson und wohl auch aus Eigeninteresse.
»Tatsächlich können Muslime Menschen, die sich amoralisch verhalten, bestrafen. Aber wenn es ein funktionierendes System der islamischen Rechtsprechung gibt, dürfen sie das Recht nicht in die eigene Hand nehmen. Damit machen sie sich strafbar.« Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit. Doch der Fall Hamzeh zeigt, dass dies in der Islamischen Republik Iran nicht so ist – und er weckt auch Erinnerungen an eine dunkle Zeit, die Zeit der Revolution.
Als zur Jahreswende 1978/79 die despotische Ordnung des Schahs zusammenbrach, hatten die Rachsüchtigen, die Fanatiker und die Gangster freie Bahn. Sie konnten sich zur Rechtfertigung ihrer Taten auf den Islam berufen. Verhaftung, Urteil, Exekution, das ging sehr schnell, manchmal im Minutentakt. Die revolutionären Gerichte waren der Deckmantel für den Blutrausch der Täter. Angst machte sich breit, bis in die Spitzen des neuen Staates, denn wer hier im Namen der Revolution tötete, das war der Mob, und der drohte völlig außer Kontrolle zu geraten.
Angesichts der um sich greifenden anarchischen Gewalt stellte Revolutionsführer Ajatollah Chomeini einen Kriterienkatalog auf, der aus acht Punkten bestand. Erst wenn alle diese acht Kriterien nicht greifen sollten, war ein Gläubiger frei, das Recht in die eigene Hand zu nehmen. Chomeini beanspruchte damit das Gewaltmonopol für die Islamische Republik, freilich sprach er sich selbst das Recht zu, dieses Monopol jederzeit wieder aufzuheben und die Kettenhunde der Revolution loszubinden. Er scheute 1989 nicht davor zurück, das Todesurteil gegen den Schriftsteller Salman Rushdie zu verhängen und es damit jedem Muslim freizustellen, den für vogelfrei erklärten Schriftsteller zu töten.
Trotzdem, der Anwalt Jafari Yazdi glaubt, »dass das System funktioniert«. Er hält die Morde in Kerman für eine Ausnahme, nicht für die Regel. Die Statistik gibt ihm recht, das vorläufige Urteil im Fall Hamzeh allerdings nicht. »Natürlich, es gibt eine Denkschule innerhalb des Systems, die besagt, Basidschi könnten korrupte Menschen eliminieren. Aber das wird von einer Minderheit vertreten.« Noch allerdings sind Hamzeh und die Seinen nicht bestraft, das endgültige Urteil wird die Vollversammlung des Obersten Gerichts, das aus 90 Richtern besteht, treffen – wann das geschehen wird, ist nicht klar.
Bis dahin wird Hossein Nedschad-Malayeri weiter die Geschichte seines Bruders und seiner Mörder erzählen. Er wird mit jedem, der es wünscht, aus der Stadt hinausfahren, in Richtung Norden, über eine breite, frisch asphaltierte Straße, und nach wenigen Kilometern in eine Sandpiste einbiegen, die mitten hineinführt in die Wüstenei Kermans. Hier, auf einer leichten sandigen Erhebung, zwischen brüchigen Sträuchern und von der Sonne hartgetrockneten Schlammkrusten, hat Hamzeh seinen ersten Mord begangen.
Seine Basidschi hatten den 19-jährigen Mosayeb Asfari verhaftet. Er betrieb im Basar einen fliegenden Verkaufsstand, an dem er religiöse Literatur anbot und CDs mit Predigten bekannter Mullahs. Vielleicht fühlte er sich deshalb sicher genug. Was sollte ihm schon passieren? Er war ja nicht der Einzige, der im Basar einen schwunghaften Handel mit illegalen Waren betrieb. Manchmal schien es ihm, als tolerierten die Behörden insgeheim diese Geschäfte, denn allzu leicht konnte er seine Ware verkaufen. Asfari hatte nicht mit dem Furor des Basidschi-Kommandanten Hamzeh gerechnet. Der verurteilte Asfari zum Tode. Hamzeh vollstreckte die Strafe so, wie es ihm der Koran vorschrieb. Er steinigte den Mann.
Doch hatten sie ein Problem, mit dem sie nicht gerechnet hatten: In der Einöde außerhalb Kermans gab es kaum Steine. Hamzeh stieg in das Auto und fuhr die Sandpiste weiter, bis er zwei große, schwere Steinbrocken fand. Er hob sie in den Kofferraum und fuhr zurück. Seine Basidschi hatten inzwischen eine Grube ausgehoben. Als sie sahen, wie Hamzeh ankam und die Steine aus dem Auto holte, befahlen sie ihrem Opfer, sich in die Grube zu legen. Hamzeh schleppte einen Stein die kleine Erhebung hoch. Er legte ihn auf den Boden und blickte noch einmal auf Asfari, der in dem Erdloch kauerte. Dann hob er den Stein auf und warf ihn mit aller Wucht auf den Kopf seines Opfers. Zu seiner Überraschung war Asfari nicht tot. Er führte das auf den weichen, sandigen Untergrund zurück, auf dem Asfari lag.
Daher befahl Hamzeh einem seiner Basidschi, den zweiten Stein, den er im Auto mitgebracht hatte, unter den Kopf Asfaris zu legen. Nachdem das geschehen war, warf er selbst den Stein noch einmal auf den Kopf des Opfers. Blut spritzte in alle Richtungen. Doch Asfari war immer noch nicht tot, der Körper zuckte und zitterte, unbeschreibliche Laute kamen aus dem geschundenen Menschen. Hamzeh gab den Befehl, ihn zu verscharren, obwohl er noch lebte. Auf einer Videoaufnahme, die der ZEIT vorliegt, ist zu sehen, wie Hamzeh vor den versammelten Ermittlern die Szene nachstellt. Er hebt den Stein kurz hoch, lässt ihn fallen und streut dann eine Handvoll Sand in die Grube.
»So haben wir das gemacht.«
Aus dem Hintergrund ist die Frage eines Ermittlers zu hören: »Weißt du, wie dein Opfer hieß?«
»Ich weiß es nicht, ich kann mich nicht erinnern.«
»Du hast ihn getötet und weißt nicht einmal, wie er heißt?«
Hamzeh blickt zu Boden. Dann hebt er den Kopf. Die Augen werden vom Sonnenlicht geblendet. Er sieht verkniffen geradeaus. Er wischt sich mit dem Finger etwas Staub von der Wange, knapp oberhalb des Vollbartes.
»Ich weiß nicht, wie er heißt. Ich kann mich nicht erinnern.«
Das entsetzliche Schauspiel der missglückten Steinigung hatte selbst die Mörder erschreckt. Sie suchten nach Möglichkeiten, die ihrem Gemüt weniger zusetzten, und fanden das Wasserbecken in den Pistazienfeldern. Dort ertränkten sie nicht nur Reza und seine Frau, sondern noch zwei weitere Opfer: Jamileh Amin Ismaeili und Mohsen Kamali. Die Frau bezichtigten sie der Prostitution, den Mann beschuldigten sie, Drogen verkauft zu haben. Sie schleppten die Leichen der beiden an die Stelle, wo sie Asfari gesteinigt hatten. Für das Verscharren der Getöteten schien ihnen der Platz noch gut genug zu sein. Allerdings versäumte es Hamzeh nicht, nach dem Mord einem islamischen Gebot zu gehorchen. Er ließ die Frau mehrere Meter entfernt verscharren. Mann und Frau in einem Grab, das gilt als unislamisch.
Hamzeh, der Mörder, galt allen als durch und durch normal
In dem Video ist zu sehen, wie Hamzeh auf die Stelle weist, an der sie die Frau begraben haben. Es ist ein dunkler Flecken Sand zwischen zwei matten Sträuchern.
Während des Prozesses saß Hamzeh in Haft, insgesamt waren es drei Jahre. Nach seiner Freilassung im Frühjahr 2005 hielt er sich 14 Tage lang in einer psychiatrischen Klinik auf. Die behandelnden Ärzte kamen zu dem Schluss, dass Hamzeh an Depressionen litt, doch konnte keiner von ihnen Aussagen über seinen psychischen Zustand zur Tatzeit machen. Die Morde, sagten die Ärzte, lägen zu lange zurück, um eine klare Diagnose stellen zu können. Während des Prozesses forderte niemand ein psychiatrisches Gutachten ein, auch nicht die Verteidigung. Hamzeh also galt allen als durch und durch normal, allen erschien er als zurechnungsfähig trotz seiner grausamen Taten.
Ein Spaziergang durch das Zentrum Kermans hilft, die Normalität zu begreifen, von der im Falle Hamzehs die Rede ist. An allen strategischen Stellen sind überdimensionierte Abbildungen Kermaner Männer zu sehen, die im Krieg gegen den Irak gefallen sind. Es handelt sich dabei um Tableaus aus fein ziselierten Fliesen. Sie sind für eine lange Dauer gefertigt, nicht für kurze Zeit wie die vielen Plakate, die auch zu sehen sind und ebenfalls vom Heldentum der Krieger erzählen.
Im Zentrum der Tableaus ist das Gesicht des Märtyrers auf himmelblauem Hintergrund zu sehen, Tulpen, das Symbol des vergossenen Blutes, iranische Flaggen und der Namenszug umrahmen das Abbild. Ganz gleich, aus welcher Himmelsrichtung man nach Kerman kommt, ganz gleich, in welcher Himmelsrichtung man es verlässt, immer begegnet man einem toten Helden. Es gibt kein Entkommen. Das Regime will es so.
Mit allen Mitteln zelebriert es den Kult des Märtyrers. Radio, Fernsehen, Zeitungen werden nicht müde, über die Opferbereitschaft der Basidschi zu sprechen, und der oberste Führer der Islamischen Republik, Ali Chamenei, verschickt an die iranischen Nutzer von Mobiltelefonen diese Nachricht: »Die Basidschi halten das Erbe Imam Chomeinis wach. Sie sind das wahre Kapital der Nation.«
Das Regime hat gerade die »Woche der Basidschi« ausgerufen, es ist eine von oben dekretierte Festwoche zu Ehren der Freiwilligen der Revolution. Die Propagandamaschine läuft auf vollen Touren – doch greifen kann sie nur, wenn dieser aufgeblasene, verzerrte Mythos eine Entsprechung in der Wirklichkeit findet, zum Beispiel in der Familie Hamzehs.
Da ist Hamzehs Onkel Scheich Hassan Mustafavis, der zu Beginn des Krieges mit dem Irak in seinem Flugzeug abgeschossen wurde; da ist ein zweiter Onkel namens Scheich Mohammad Mustafavi, der während der berüchtigten Kerbala-Offensive Nummer 5 im Krieg gegen den Irak ums Leben kam und dafür eines der großen Tableaus an einer zentralen Straßenkreuzung in Kerman erhielt. Hamzeh wuchs unter dem Eindruck dieser Gestalten auf; ihre Opferbereitschaft, ihre Hingabe warfen einen langen, schweren Schatten über sein junges Leben. Der Krieg war Teil seines Familienlebens, von Kindesbeinen an.
Seine Helden waren alle tot, und manchmal hatten sie selbst auf hinterhältige Weise gemordet. Ein Onkel mütterlicherseits hatte noch während der Zeit des Schahs eine Frau aus der Nachbarschaft erstickt, weil sie sich seiner Meinung nach unmoralisch verhalten hatte. Solange der Schah noch regierte, schwieg der Mörder, und die Polizei fand ihn nicht. Als der Schah aber gestürzt war, offenbarte sich Hamzehs Onkel als der Mörder der »amoralischen« Nachbarin – das hat ihm Respekt und Ansehen gebracht. Er trug den Mord an dieser Frau wie eine Auszeichnung vor sich her. Das tat er aus gutem Grund. Es waren ja die Zeiten angebrochen, in denen die Tötung unmoralischer Elemente die eigene Karriere beförderte.
Hamzeh wurde mitten hineingeboren in das dunkle Herz der Revolution, in dem das eigene Blut wie das Blut anderer im Namen einer größeren Sache bedenkenlos vergossen wurde. Hamzeh war kein Außenseiter. Er konnte mit stolzgeschwellter Brust durch Kerman gehen. Doch etwas Entscheidendes fehlte ihm: die Chance, sich im Kampf zu bewähren. Das konnte angesichts der Vorbilder in der Familie leicht zu einem Gefühl der Unterlegenheit, ja der Minderwertigkeit führen.
Hossein Nedschad-Malayeri hat sich in den vergangenen fünf Jahren viel mit Hamzehs Geschichte auseinandergesetzt. In erster Linie will er Gerechtigkeit, aber er will auch verstehen, warum er seinen Bruder verloren hat und wer dieser Mörder ist, was ihn treibt und wie er denkt. »Ich glaube, dass Hamzeh in seinem Basidschi-Wachtposten den Krieg imitiert hat und dass er das Gefühl hatte, die Stadt sei von Feinden infiltriert.«
Das klingt verrückt, doch es liegt ganz auf der Linie der propagandistischen Parolen des Regimes, der Feind, die Dekadenz, die Unmoral lauerten überall. Und war der Basar nicht ein geeignetes Einfallstor für diese feindlichen Elemente? Wimmelte es dort nicht von Menschen zweifelhafter Herkunft und mit unbestimmtem Gewerbe? Was treiben eigentlich die Afghanen hier, die Balutschen, die Iraker?
Kerman liegt mitten auf der Schmuggelroute für afghanisches Opium, es ist Durchgangsstation und Zielort zugleich. Wie überall in Iran ist auch hier der Drogenkonsum unter Jugendlichen weitverbreitet. Der Stoff ist leicht zu haben, das Gefühl der Ausweglosigkeit allgegenwärtig. Die Profite aus diesem Geschäft sind hoch, die Gefahr, geschnappt zu werden, ist nicht allzu groß. In den weiten Flächen der Provinz, in den Wüsten und Bergen franst die iranische Staatsgewalt aus.
Die Hunde eines Hirten hatten das Grab der Ermordeten ausgebuddelt
Die Grenze zu Afghanistan ist nicht allzu weit, und dort werden 90 Prozent des gesamten Opiums der Welt produziert. Polizei und Armee führen einen regelrechten Krieg gegen Schmuggler, Aufständische, Rebellen. Jedes Jahr kommt es zu Hunderten von Scharmützeln, Dutzende Soldaten sterben. In dieser Umgebung konnte einer wie Hamzeh schon das Gefühl entwickeln, er stehe mitten an der Front, in einem existenziellen Abwehrkampf. Und als wäre das alles noch nicht genug, droht der Islamischen Republik auch Gefahr von politischer Seite.
Als Hamzeh und seine Basidschi die Morde begingen, im Jahre 2001, da war der Reformer Mohammed Chatami Präsident. Die iranische Gesellschaft schien in Richtung Westen aufbrechen zu wollen, in Richtung Konsum, Liberalität, Freizügigkeit. Damals kämpften die konservativen Kräfte in Justiz und Polizei mit allen Mitteln gegen die Öffnung der Gesellschaft. Es lässt sich gut vorstellen, wie im Hause Mustafavi über die Reformbewegung gedacht wurde. Hamzehs Vater ist eine stadtbekannte Figur, ein stramm religiöser Mann, der im Basar einen Textilhandel betreibt. »Alles, was Sie für Mekka brauchen!«, steht auf dem Schild über dem Geschäft. Auch in seiner eigenen Familie ist Hamzeh wohl bestärkt worden, dass es einen Krieg auszufechten gelte gegen die eigenen Landsleute, die den Islam verrieten. Die konservativen Kräfte in Iran nahmen die Reformbewegung als eine tödliche Bedrohung wahr – und sie waren nicht bereit, zurückzuweichen.
Was die Mittel in diesem Kampf anbelangte, so konnte Hamzeh von der Staatsmacht lernen, was alles erlaubt war. Gedungene Mörder des Geheimdienstes brachten eine Reihe oppositioneller Schriftsteller um, Sondereinheiten knüppelten rebellierende Studenten nieder, misshandelten sie und sperrten sie weg. Menschen verschwanden, andere tauchten wieder auf, die verängstigt schwiegen und um keinen Preis berichten wollten, was ihnen widerfahren war. Es gab keine Schonung. Warum sollte da ein junger Kommandant eines kleinen Basidschi-Wachtpostens in einer herben iranischen Provinzstadt weich sein?
Aufgeflogen ist Hamzeh, weil ein Hirte sich wunderte, woher seine Hunde das Fleisch genommen hatten, mitten in der Wüste. Sie hatten das Grab der Ermordeten ausgebuddelt. Aufgeflogen ist Hamzeh, weil er mit Reza Nedschad-Malayeri und seiner Frau Shorah Nikpour Mitglieder einer bekannten Familie aus Kerman umgebracht hatte. Nach den anderen Opfern hatte keiner gesucht. Sie waren eben verschwunden – wohin? Vielleicht nach Yazd, nach Shiraz, nach Isfahan, nach Teheran, irgendwohin. Sie waren arm, unbedeutend, in den Augen Hamzehs Abschaum, und wer fragte schon nach Abschaum?
Doch bei diesem Ehepaar war es anders. Die Angehörigen forschten nach. Die Polizei musste ermitteln. Es dauerte nicht lange, und sie wurde fündig. Die Mörder hatten die Mobiltelefone ihrer Opfer verkauft, die SIM-Karten allerdings behalten. Das hatten sie bei allen Ermordeten so gehalten. Sie hofften, auf diese Weise weitere »amoralische Elemente« ausfindig zu machen – wer anrief, der war verdächtig, dessen Spur wollten sie aufnehmen, der konnte das nächste Opfer werden. Das erklärt aber nicht, warum sie die SIM-Karten des Ehepaares behielten. Wahrscheinlich aus Nachlässigkeit, aus Gewohnheit.
Hamzeh und seine Männer waren grausam, entschlossen, hinterhältig, doch professionelle Killer waren diese jungen Männer nicht. Sie waren zur Tatzeit zwischen 21 und 26 Jahre alt und mit dem Handwerk des Tötens noch nicht vertraut. Das zeigt die missglückte Steinigung, das zeigt ihr stümperhafter Umgang mit den SIM-Karten. Vielleicht fühlten sie sich einfach nur zu sicher. Nemat Ahmadi, der Anwalt, der die Familie Nedschad-Malayeri vor dem Obersten Gericht in Teheran vertritt, sagt: »Die Basidschi sind im Machtrausch. Sie sind besoffen von Macht.«
Vor Gericht behauptete Hamzeh, nicht gewusst zu haben, dass die beiden verheiratet waren, dass er mithin aus dem Glauben heraus gehandelt habe, eine »unmoralische Verbindung« zu bestrafen. Doch das ist unwahrscheinlich. Shorah Nikpour wohnte zwei Straßen von Hamzeh entfernt, in der Nähe des Basars. Ein Onkel Hamzehs hatte zu Zeiten des Schahs zusammen mit Shorahs Vater im Gefängnis gesessen. »Er hat die beiden umgebracht«, sagt Hossein Nedschad-Malayeri, »weil er fürchtete, dass die anderen Morde auffliegen könnten. Er wollte sie zum Schweigen bringen!«
Erreicht hat er das Gegenteil.
Als Hamzeh verhaftet wurde, konnte er damit rechnen, dass es mit den Familien Nedschad-Malayeri und Nikpour zu einer Einigung über ein zu zahlendes Blutgeld kommen würde. Wenn das gelänge, hätte er drei bis fünf Jahre absitzen müssen. Das wusste er. Tatsächlich kamen Emissäre zu den Familien der Ermordeten, um zu verhandeln. Einer von ihnen verwies darauf, dass die Familien Mustafavi und Nikpour durch das gemeinsam erfahrene Leid in den Kerkern des Schahs doch verbunden seien, eine Lösung deshalb doch zu finden sein müsse. So eng ist das Netz in Kerman gewoben, das Hamzeh auffangen sollte.
Eine düstere, unheimliche Atmosphäre liegt über dem ganzen Fall
Wer die Bestrafung Hamzehs und seiner Mittäter anstrebt, lebt nicht ohne Risiko. Der Anwalt Nemat Ahmadi in Teheran sagt, dass er »aus Vorsicht« sein Büro immer mit den Angestellten verlasse. Ahmadis Anwaltskollege aus Kerman, Jafari Yazdi, berichtet, dass es »Drohungen und Einschüchterungen gegeben hat«. Er wisse nicht, wer dahinterstecke, sagt Yazdi und fügt hinzu: »Der Fall ist so brisant, dass man sich nicht einschüchtern lassen darf.«
Eine düstere, unheimliche Atmosphäre liegt über dem ganzen Fall, eine drohende Dunkelheit, aus der jederzeit ein Schlag kommen kann. Was ist, wenn Hamzeh im Auftrag gehandelt hat? Wenn er auf freiem Fuß bleibt, weil er für weitere Aufgaben gebraucht wird? Das System hat schon manchen Mörder losgeschickt, der seinen Auftrag eiskalt ausgeführt hat.
Hossein Nedschad-Malayeri lässt sich davon nicht beeindrucken. Und wenn er auch Angst hätte – was, so denkt er, ist das bisschen Angst schon gegen das, was seinem Bruder widerfahren ist? Es ist ihm zugefallen, im Namen der Familie nach Gerechtigkeit zu verlangen, weil er zu seinem Bruder eine besondere Beziehung hatte.
»Er war vier Jahre jünger als ich. Wissen Sie, ich habe ihn immer zur Schule gebracht. Ich habe mich um ihn gekümmert. Ich habe darauf geachtet, dass ihm nichts passiert!«
»Und nun wollen Sie ihn auch über seinen Tod hinaus beschützen?«
»Ja, sicher. Stellen Sie sich vor, eines Tages kam er mit einer blutig geschlagenen Nase nach Hause. Natürlich wollte ich wissen, wer das getan hat. Ich mache jetzt das, was ich gemacht habe, als er noch lebte!«
Noch ist das endgültige Urteil über den Mörder Hamzeh Mustafavi nicht gesprochen. Doch schon arbeitet man am Vergessen dieses Falles. Hamzeh entzieht sich ins Unwirkliche. Am späten Abend empfängt uns der Sicherheitschef der Provinz Kerman, ein Mann, der immer zur Decke schaut, wenn er auf Fragen antwortet, und diese Antworten so kurz hält, dass man kaum Zeit hat, sich eine neue Frage zu überlegen. Das geschieht auch, als er auf die Morde der Basidschi angesprochen wird.
»Es gab in Kerman doch diesen Fall, bei dem Basidschi mehrere Menschen ermordet haben. Sie wissen Bescheid?«
»Basidschi? Es gibt keinen solchen Fall.«
Dann schaut er wieder zur Decke.