Das Mullah-Regime ist die Hölle
Bahran Nirumand

© DIE ZEIT, 19.11.1982 Nr. 47
Eine Abrechnung mit Gewalt und Brutalität der Chomeini-Junta / Von Bahran Nirumand
Der iranische Schriftsteller Bahran Nirumand, 1936 in Teheran geboren, promovierte 1960 in Tübingen über Brecht. Seit seinen „Kursbuch"- und Rowohlt-Veröffentlichungen 1966 und 1967 („Persien, Modell eines Entwicklungslandes") galt er als aggressivster Kritiker des Schah-Regimes, zu dessen Sturz er im persischen Untergrund beitrug. Inzwischen ist Nirumand — der im Auftrag der provisorischen Regierung als Vertreter des „Nationalen Widerstandsrates" in Europa lebt - einer der prononciertesten Gegner des Mullah-Regimes.
Der stolze Gang Seiner Majestät, König der Könige, Licht der Arier, in „die große Kultur", die er dem iranischen Volk für dieses Jahrhundert versprochen hatte, landete im Sumpf. Geblendet vom Glanz der westlichen Zivilisation und Konsumgesellschaft, setzte der Schah zur Rettung seiner niedergehenden Herrschaft auf den Nationalismus und auf die iranische Tradition. Die Geister der alten Könige wie Darius, Kyros und Xerx^s. wurden heraufbeschworen, und der Kaiser von Amerikas Gnaden präsentierte sich als deren Nachfolger. In Persepolis, wo hohe Gäste aus aller Herren Länder zum zweitausendfünfhundertjährigen Bestehen des iranischen Kaiserreichs geladen waren, kniete er mit dem goldenen Schwert in der Hand am Grabe des Kyros und rief aus: „Ruhe sanft, denn wir sind wach und wachsam!"
Es konnte aber jeder sehen, daß die prächtige Uniform des Kaisers und die Gewänder der Kaiserin in den Pariser Modehäusern angefertigt und Speisen, Getränke, ja sogar Blumen und Geschmeide aus Westeuropa und Amerika eingeflogen worden waren. Es waren Gelder aus dem 01- geschäft, die dem Kaiser erlaubten, seine Gäste majestätisch zu bewirten, und während ein großer Teil der iranischen Bevölkerung hungerte, die Bewohner von Balutschistan und Sistan sich von Stroh und Dattelkernen ernährten, während Tausende in den Slums der Vorstädte ein menschenunwürdiges Dasein fristeten, herrschte in Persepolis Freude und Jubel.
Durch Fernsehen, Rundfunk und vom Hörensagen durfte das Volk erfahren, wie sich der Kaiser auf dem Pfauenthron die große Kultur vorstellte. Exotische Träume von 1001 Nacht, vom Großwesir und Scheherezade, vom Orient Und dem Orientalischen wurden dort in Form von Theateraufführungen, abstrakten Gemälden, Skulpturen und serieller und elektronischer Musik durch westliche und verwestlichte iranische Künstler vorgeführt. Mit iranischer Geschichte und Kultur, mit den Nöten, Wünschen und Träumen der iranischen Bevölkerung hatte das Ganze nichts zu tun. Die Massen durften nur am Rande der Straßen Fahnen schwingen, wenn die hohen Damen und Herren hinter den kugelsicheren, bläulichen Scheiben amerikanischer Straßenkreuzer, sitzend und winkend, vorbeifuhren.
Das Fest in Persepolis symbolisierte das Wesen und die Vorstellungen des kaiserlichen Hofes und der oberen Zehntausend, die in Reichtum schwelgten. Fabrikanten, Heroinschmuggler, Firmendirektoren und hohe Staatsbeamte hatten sich die Beute geteilt. Eine gut ausgerüstete Armee und ein wachsamer Geheimdienst sorgten dabei für Ruhe und Ordnung. Daß von ihrem Reichtum auch etwas für einen Teil des Mittelstandes heraussprang, lag weniger in ihrer Absicht als im Wesen des Systems selbst begründet, eines Systems, das nicht an den Bedürfnissen des Landes, sondern an denen des Weltmarktes und des ausländischen Kapitals orientiert war.
Die Clique, die da über 35 Millionen Menschen herrschte, war der kulturloseste Haufen, den je die iranische Geschichte erlebt hatte. Sie hatte keine Substanz. Über Nacht vom Großgrundbesitzer oder Händler zum Großkapitalisten geworden, verhielt sie sich wie ein Bauer, der zum erstenmal eine Großstadt besucht. Sie war gänzlich unproduktiv und total konsumversessen. Abhängig vom westlichen Ausland, suchte sie dort die Vorbilder. Je westlicher die Orientierung des einzelnen, um so mehr Prestige gewann er. Wer nicht wußte, welche Filme am Wochenende in Paris, London und New York liefen, wo sich die exklusiven Restaurants befanden, und diese ab und zu nicht besuchte, konnte sich in der iranischen high society nicht blicken lassen. Im Iran produzierte Kleider und Schuhe galten in diesen Kreisen als provinziell und iranische Bräuche und Umgangsformen als primitiv.
So hatten sich in der iranischen Gesellschaft zwei Welten gebildet, die sich in allen Bereichen des Konsums, des gesellschaftlichen Umgangs, ja selbst der Sprache voneinander unterschieden. Auf manchen Abendgesellschaften der high society wurde selten persisch gesprochen, man zog es vor, sich in englischer oder französischer Sprache zu unterhalten, oder die Konversation war mit so vielen Fremdwörtern durchsetzt, daß sie für einen Durchschnitts-Iraner nicht zu verstehen war.
Die Stadt Teheran bietet ein anschauliches Bild der beiden Welten. Der Norden besteht aus Luxushäusern importierter Baustile, großen Gärten und Parks und breiten, von Bäumen umgrenzten Straßen, der Süden aus veralteten, dem Zusammenbruch nahen Häusern, Lehmhütten, Wohnlöchern und Slums.
Die „Kultur", die sich die Oberschicht mit der Zeit angeeignet hatte, war nichts anderes als ein Abklatsch der europäisch-amerikanischen Konsumgesellschaft. Daß diese Art der Modernisierung und Reformierung an der eigenen Identität und am Wesen der einheimischen Kultur nagte und sie zu zerstören drohte, liegt auf der Hand. Sie ließ nichts Eigenes entstehen.
Planloses Vorgehen in der Wirtschaft, die immer offenbarer ans Tageslicht tretende Korruption bei Ministerien und staatlichen Ämtern, die Willkür der politischen Macht und das Fehlen bürgerlicher Freiheiten führten schließlich zu einschneidenden ökonomischen und sozialen Krisen. Der Versuch des Regimes, durch kleinere Zugeständnisse den Sturz aufzuhalten, kam zu spät. Das Faß war bereits übergelaufen. Innerhalb weniger Monate waren es Zehntausende und kurz darauf Millionen, die tagsüber auf den Straßen demonstrierten und nachts von den Dächern der Häuser den Sturz des Regimes forderten.
Endlich war die andere Welt an der Reihe, eine Welt, in sich selbst heterogen, aber einig in der Wut gegen die Unterdrücker und erfüllt von der Hoffnung, in Zukunft in Freiheit und Unabhängigkeit leben zu können.
Wie aber die Zukunft, wie die noch zu erringende Freiheit aussehen und wodurch die nationale Unabhängigkeit erreicht werden sollte, war unter den politischen Gruppen und Strömungen noch lange nicht ausgemacht.
Die Diktatur hatte nicht nur die Entstehung von politischen Organisationen, die Verbreitung von Ideen und die freie Diskussion über die Zukunft des Landes verhindert, sie hatte auch die Entwicklung eines gesellschaftlichen Bewußtseins, die Verarbeitung und Konkretisierung von Wünschen und Träumen erfolgreich zu unterbinden gewußt.
In einem solchen Zustand politischer Desorientierung, des Fehlens einer klaren Alternative zum Schah-Regime, hatte die Revolte ihren Anfang genommen. Sie begann mit einer öffentlichen Veranstaltung des iranischen Schriftstellerverbandes im Teheraner Goethe-Institut, die zehn Abende lang dauerte und bei der revolutionäre Dichter aus ih-
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ren bis dahin verbotenen Werken lasen. Mehr als zehntausend Personen, die in strömendem Regen auf den umliegenden Straßen standen, hörten ihren Schriftstellern zu. Der Funke hatte das Pulverfaß gezündet.
Es folgten Unruhen an Schulen und Universitäten, Massendemonstrationen in den Städten, Streiks in den Fabriken und selbst in staatlichen Ämtern und Behörden und nicht zuletzt die Schließung der Basare. So trug jeder seinen Teil dazu bei, den Staat handlungsunfähig zu machen.
Moscheen boten sich als günstige Versammlungsorte an. Die Anwesenheit von rund hunderttausend Geistlichen, die über das gesamte Land verstreut waren und sich, ihren Einfluß unter der Bevölkerung ausnutzend, als politische Agitatoren und Organisatoren betätigen konnten, gab der islamischen Geistlichkeit die Gelegenheit, vor allem in den letzten Phasen des Volksaufstandes, der Bewegung ihren Stempel aufzudrücken. Durch Propagierung religiöser Riten, durch die Wiederbelebung des im Schiitentum weit verbreiteten und stark idealisierten Märtyrerturas, konnten die islamischen Führer ihren Einfluß geltend machen.
Schließlich war dieser große Einfluß Ajatöllah Chomeini zu verdanken, der im letzten Jahr vor dem Sturz des Schah von seinem langjährigen Exil' im Irak nach Paris übergesiedelt war. In Paris versprach Chomeini dem Volk den Himmel auf Erden - es wurde die Hölle.
Für alle Bewohner des Landes, ob religiöse oder ethnische Minderheiten, Kommunisten oder Sozialisten werde es gleiche Rechte und Freiheiten geben. Auch Frauen versprach er die Gleichberechtigung. Es dürfe in Zukunft niemand wegen seiner politischen Ansichten verfolgt, verhaftet oder gefoltert werden. Er werde keine Zensur der Presse dulden. Den Armen und Obdachlosen sicherte' er Arbeit und Wohnung zu. Außerdem beteuerte er, daß kein Geistlicher ein Regierungsamt übernehmen werde.
Dies alles erfüllte das Volk mit Hoffnungen. Binnen kürzester Zeit wurde Chomeini zum unbestrittenen Führer der iranischen Revolution. Als schließlich der Führer der Nationalen Front Sandjabi, der als Repräsentant der Nationaldemokratischen Bewegung angesehen wurde, offiziell mit Chomeini einen Pakt schloß und auch linke und radikale Gruppen ihren Segen dazu gegeben hatten, schien die Opposition für die Übernahme der Macht bereit zu sein.
Die Parolen der Phantasie
Die Stunde des Schah-Regimes hatte geschlagen. Als die Ölarbeiter in den Streik traten und die Hähne zudrehten, war der Lebensnerv des Staates getroffen und das Schicksal des Regimes besiegelt. Von da an gab es praktisch keine Regierung mehr. Zum erstenmal in der iranischen Geschichte hatte die Bevölkerung ihr Schicksal selbst in die Hand genommen. Uno genau das versuchte der „Nationale Widerstandsrat", in dem sich die größten progressiven Organisationen des Landes, wie die Vblksmodjahedin, die Demokratische Partei Kurdistans und Persönlichkeiten wie Bani-Sadr, zusammengeschlossen hatten. Die Menschen merkten auf einmal, daß sie sich selbst regieren konnten, und sie hatten das Gefühl, daß Regierungen überflüssig seien. Sie bildeten spontan Bezirkskomitees, um Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln zu gewährleisten. Die Versorgung der Alten und Kranken, der Armen und Habenichtse aus gemeinsamen Kassen lief ohne nennenswerte Schwierigkeiten. Arbeiterund Bauernräte sorgten für die Steigerung der Produktion; Fachkräfte, Ärzte, Studenten stellten sich freiwillig in den Dienst der Komitees, Initiativgruppen und Räte. Dje schöp lange schlummernde Phantasie kam plötzlich in den Parolen und Liedern der Revolution zum Ausdruck. In Presse, Rundfunk und Fernsehen hörte und las man nie geahnte Ideen, Ansichten und Analysen, Kunst und Literatur erfuhren eine nie dagewesene Blüte.
Während dieser Zeit war unter der Bevölkerung keine Aggressivität zu spüren. Selbst aus dem chaotischen Verkehr der Teheraner Innenstadt, der bis kurz davor von Zehntausenden von Polizisten kontrolliert und nun von Freiwilligen aus der Bevölkerung geregelt wurde, waren die bis dahin bei Zusammenstößen üblichen Schlägereien und Auseinandersetzungen völlig verschwunden. Die Zahl der Unfälle hatte sich auf ein Minimum reduziert, und wenn es doch dazu kam, schüttelten sich die Fahrer die Hand oder umarmten sich, riefen „Tod dem Schah" und verzichteten großzügig auf jegliche Schadensansprüche.
Überfälle, Diebstähle, Vergewaltigungen und andere kriminelle Delikte gab es kaum noch. An den Universitäten, deren Tore für die Bevölkerung geöffnet wurden, diskutierte man über alle praktischen Fragen der gesellschaftlichen Selbstverwaltung. Fabrikbesitzer öffneten freiwillig die Tore ihrer Fabriken. Studenten, Intellektuelle und Geistliche wurden hereingelassen, um sich mit den Arbeitern und Ingenieuren über die Neugestaltung der Fabrikverwaltung, der Produktion und Verteilung zu unterhalten. Ich habe oft erlebt, wie Unternehmer, ergriffen von dem überall herrschenden Glücksempfinden, sich bereit erklärten, auf ihre Rechte zugunsten einer Selbstverwaltung und Beteiligung der Arbeiter zu verzichten.
Eine totale Umwertung der Werte hatte sich vollzogen. Millionen unterdrückter Frauen waren durch die Aktivität im Kampf, durch ihren täglichen Einsatz zu einem Selbstbewußtsein gelangt, von dem die jahrelang um Emanzipation bemühten europäischen Frauen; nur träumen können. Ohne daß jemand oder eine Organisation es geplant oder geahnt hätte, entwickelte sich innerhalb eines Jahres im Iran eine Kulturrevolution.
Gefangene, von denen einige . fünfzehn Jahre und länger ihr Leben in den Kerkern des Schah verbracht hatten, wurden in Teheran auf Schultern zum Gebäude der Universität getragen. Dort und auf den umliegenden Straßen hatten sich mehr als eine Million Menschen versammelt. Als einer der bekanntesten Gefangenen zu reden anfangen wollte, es aber nicht fertig brachte, weil er von der Stimmung ergriffen war, herrschte minutenlang ein ijnbeschrejbliches Schweigen. Ich glaube, wir alle dachten dasselbe: Was wir fünfundzwanzig Jahre lang erduldet hatten, darf und wird es nicht mehr geben.
Dieser Mann, vor dem eine Million Menschen als Zeichen der Achtung minutenlang geschwiegen hatten, ist im Dezember vergangenen Jahres im Namen Gottes als Konterrevolutionär hingerichtet worden. Seit August 1981 bis heute sind offiziell mehr als zehntausend, zumeist Jugendliche, erschossen worden. Die Zahl der politischen Häftlinge wird auf vierzigbis fünfzigtaüsend geschätzt.
Der Schah verließ fluchtartig das Land. Chomeini kehrte in den Iran zurück. Die Zahl der Menschen, die sich zu seiner Begrüßung eingefunden hatten, Ipetrug etwa sechs Millionen. Die Unterstützung, die Chomeini durch nahezu die gesamte Bevölkerung erfuhr, schuf die besten Voraussetzungen, die je einem Führer der Revolution zuteil wurden. Hätte Chomeini die Botschaft der Revolution begriffen, hätte er den Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerung nach Freiheit, Demokratie, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit entsprochen, hätten wir heute nicht vier Millionen Arbeitslose, zwei Millionen Kriegsvertriebene. Die zweihunderttausend Opfer des Krieges, die zwanzigtausend ermordeten. Kurden und alle durch Folter und Erschießungen Umgebrachten könnten heute noch leben. Und der Iran hätte nicht nur für die ganze Region, sondern für viele Länder der Dritten Welt beispielhaft sein können.
Aber Chomeini hatte beschlossen, den Gottesstaat auf Erden zu errichten. Die Ernennung Bazargans zum Ministerpräsidenten deutete darauf hin, daß der in Paris geschlossene Pakt zwischen den nationaldemokratischen Fraktionen und der Geistlichkeit zumindest vorerst aufrecht erhalten , werden sollte. Auch Unke und radikaldemokratische Organisationen, wie die Volksfedaijn und Volksmodjahedin, auf deren Konto die entscheidenden Siege der letzten Tage vor dem Sturz des Schah gingen, genossen mit einigen Einschränkungen vorläufig die Freiheit der politischen Betätigung. Auch die Freiheit von Presse, Parteien und Versammlungen wurde zunächst geduldet. Die neue Macht brauchte eine Anlaufzeit, um die Waffen ihrer Herrschaft zu schmieden.
Die ersten Tage nach der Machtübernahme galten den Racheakten gegen hohe Funktionäre des alten Regimes. Obwohl sie bereit waren, auszusagen und ihre Informationen dem neuen Regime zur Verfügung zu stellen, wurden sie bei Nacht und Nebel abgeknallt. Linke und Radikale begrüßten dieses „revolutionäre Vorgehen gegen die Repräsentanten der Kulturrevolution". Sie merkten nicht, daß damit die errungene Solidarität in Haß, die Liebe in Wut, Aggression, Brutalität und Terror verwandelt Werden sollte, daß dabei die Unabhängigkeit der Justiz bereits außer Kraft gesetzt wurde, daß irgendwelche Dunkelmänner über die Köpfe der Bevölkerung hinweg wichtige Entscheidungen trafen. •
Die revolutionären Errungenschaften wurden zurückgenommen, die von der Bevölkerung geschaffenen autonomen Institutionen und Organisationen wurden vernichtet. Dabei waren die vom Schah-Regime vererbten Machtinstrumente ungeeignet. Es mußte ein eigener, ein islamischer Staat aufgebaut werden. Während die offizielle Regierung unter Bazargan ahnungslos mit der Rerormierung des vorgefundenen Verwaltungsapparates, Armee, Polizei und Geheimdienst beschäftigt war, , schmiedeten die Mullahs im Hinterhalt ihre eigenen Waffen: Die Aufgaben der Armee sollten Sepahe Pasdaran (Wächter der Revolution) übernehmen. An die Stelle der Polizei traten die „Komitees der Revolution", an die der Justiz die islamischen Revolutionsgerichte, an die des Parlaments der Oberste Kontrollrat und Welajate Faghih (Uneingeschränkte Herrschaft des Obersten Geistlichen, in diesem Falle Chomeini).
Über Nacht sah sich die Bevölkerung mit einer Doppelherrschaft konfrontiert. Auf der einen Seite die Herrschaft der Nationaldemokraten, die ein parlamentarisches System anstrebten, und auf der anderen diejenige der Mullahs, die sich die Gründung des islamischen Staates und des Systems der
Welajate Faghih zum Ziel gesetzt hatten.
Worin sich diese beiden Systeme voneinander unterscheiden, hatte Chomeitti schon vor Jahren ausgeführt. Während andere SyÄieme sich um das öffentliche Leben der Menschen klimmern, meinte er, müsse der islamische Staat; auch das Privatleben eines jeden einzelnen kohtröljerisn. Das Leben der Menschen von vor der Geburt bs nach dem Tod deklarierte Cbomeini zu elfter/Angelegenheit des Staates. Das System des t Wejajate Faghih steht dann auch in krassem lÖteeeÄsiatz zu jeglicher Form der Herrschaft desVolkes; Es unterteilt die Gesellschaft in Hirten und Schafe. Das Wort des Obersten Hirten gilt als das Wort Gottes. Wer sich seinen Befehlen, und Anweisungen widersetzt, begeht eine Sünde gegen Gott, und darauf steht die Todesstrafe, Der Krieg gegen Sünder und Feinde Gottes istfein »HeiligertKrieg", und wer
diesen Krieg führt, dem werden die eigenen Sünden verziehen, er kommt ins Paradies. Mit eben dieser einfachen Logik wurde den Gegnern des Welajate Faghih der Krieg erklärt. Schon nach wenigen Monaten waren die Versprechungen ron Paris längst vergessen.
Nun hatte sich im Verlaufe der Revolution eine neue Kraft gebildet: Arbeiterund Bauernfate, Gewerkschaften, Berufsund Interessenverbände, Stadtund Dorfräte, Organisationen der verschiedenen Nationalitäten zur Erlangung von Selbstverwaltung. Politische Parteien und Gruppen hatten ihrerseits versucht, ihren Einflußbereich zu erweitern und sich zu stabilisieren. Die Bauernrite von Turkemanestan hatten einen Obersten Gemeinsamen Rat gebildet, der die Verwaltung aller Angelegenheiten der Provinz in die Hand genommen hatte. In Kurdistan war auf Grund einer Vereinbarung zwischen den politischen Parteien und Gruppen ein Ausschuß gebildet worden, der, unterstützt von der kurdischen Bevölkerung, den Auftrag hatte, mit der Zentralregierung üoer die innere Autonomie des iranischen Kurdistan zu verhandeln. Zahlreiche Städte Kurdistans vurden bereits durch gewählte Ratsmitglieder verwaltet. Auf dem Land waren innerhalb Von wenigen Monaten Ansätze einer Bodenreform schön durchgeführt.
Lawine der Gewalt
Solange diese Denkmäler der Revolution existierten, konnte das System des Welajate Faghih nicht durchgesetzt "werdeÄ. Sie mußten also allesamt ausgemerzt werden. Eine gigantische Propagandamaschinerie wurde ins Rollen gebrächt, Fernsehen und Rundfunk wären längst für den Hausgebrauch der Mullahs umorganisiert und die Redaktionen einiger größerer Zeitungen bereits übernommen. Gleichzeitig waren die Massen noch auf den Straßen, die überwiegende Mehrheit stand nach wie vor hinter Chomeini. Linke wie Rechte, die nicht selbst betroffen waren, standen zumeist auf der Seite der neuen Machthaber. Alles war innerhalb weniger Monate vorbereitet, endlich konnte zugeschlagen werden. Die Türkemanischen Bauernräte mußten zuerst dran glauben. Dann kamen die Arbeiterräte, Gewerkschaften, Komitees und Verbände an die Reihe; sie wurden entweder zerschlagen oder, soweit möglich, für eigene Zwecke umfunktioniert.
Eine ungeheure Gewaltlawine hatte sich in Bewegung gesetzt. Schon sieben Monate nach der Machtübernahme wurde der erste Staatsstreich gegen die Revolution ausgeführt. Im August 1979 wurde zunächst die Freiheit der Presse aufgehoben, die Zentralen der politischen Organisttionen von den „Wächtern der Revolution" gestürmt. Einige Tage später wurden Tausende von Mitgliedern der islamischen Komitees und der Pisdarän auf Befehl Chomeinis zum „Heiligen Krieg* gegen die Bevölkerung Kurdistans losgeschickt. Dort wurden zahlreiche Dörfer verwüstet und unschuldige Bewohner ürrigebracht. Der geistliche Richter Knalkhali, der durch die häufigen Todesurteile, die er gegen, Mitglieder des früheren Regimes, aber auch gegen Prostituierte, Homosexuelle und vermeintliche Kriminelle gefällt hatte, zu Berühmtheit gelangt war, wurde nach Kurdistan geschickt. In seiner Anwesenheit wurden sogar verletzte Gefangene auf Bahren vorgeführt, mit einem Federstrich zum Tode verurteilt und an Ort und Stelle hingerichtet.
Nqch nie ist ein Volk, das so geschlossen zur Erringung der Freiheit und Unabhängigkeit aufgestanden war, von seinen Führern nach solch kurzer Zeit dermaßen betrogen worden. Anfangs konnten noch viele getäuscht werden. Die verbalen Bekundungen der Mullahs gegen den „Imperialismus" und dessen Helfershelfer im eigenen Lande, die Solidaritätserklärungen für die Armen und Entrechteten nahmen noch viele emst. Als die Freiheit der Presse auf dem Spiel stand und die größte Tageszeitung des Iran, Ajandegan, verboten wurde, unter dem Vorwand, der in dieser Zeitung vertretene Liberalismus sei die beste Brücke zur Rückkehr der Konterrevolution und des Imperialismus, da haben viele gezögert, gegen diesen Anschlag auf Freiheit und Demokratie zu protestieren. Namentlich ein großer Teil der Linken, der ohnehin allgemeine, für jedermann geltende Rechte und Freiheiten als „bürjgerh'ch-liberale" Werte verachtete, wurde durch solcherlei Begründungen und Bekundungen politisch entwaffnet und zur Passivität gezwungen.
Die sich täglich eskalierende Gewalt, die mit dem Überfall auf Kurdistan ihren ersten Höhepunkt erreicht hatte, richtete sich nicht nur gegen die politische Opposition, sondern auch gegen politisch passive Bürger, die sich nicht die mittelalterlichen und reaktionären Vorstellungen der Mullahs aufzwingen lassen wollten.
Die Zeit schien nun gekommen, bestehende Lebensweisen, Bräuche, Gewohnheiten, Traditionen, kulturelle Aktivitäten, kurz - alles, was bis dahin zum materiellen und geistigen Leben gehörte und den Vorstellungen der Mullahs nicht entsprach, auszurotten. Die Propaganda, die durch Fernsehen und Rundfunk, bei gemeinsamen Freitagsgebeten und in Moscheen gestartet wurde, setzte gegen die alte iranische Kultur und gegenüber jeglichen Modernisierungsversuchen eine ungeheure Aggressivität frei. Vor allem Landflüchtige, die infolge der Bodenreform des Schah in die Städte gezogen waren, dort keine Arbeit gefunden hatten und in den Slums der Vorstädte ihr Dasein fristeten, wurden mobilisiert, um das Werk der totalen - Zerstörung in Gang zu setzen. Hatte die revolutionäre Bewegung eine Umwertung der Werte herbeigeführt und die nationale Identität endlich erreicht, so galt es nun, diese Werte zu zerstören und eigene Vorstellungen an deren Stelle zu setzen. Wut und Haß wurden zum Motor einer zu diesem Zwecke mobilisierten Massenbewegung. Zerstörung wurde als Fortsetzung der Revolution, Feindschaft gegen Menschen und Menschlichkeit als Humanismus und Liebe zu Gott deklariert.
Noch nie ist eine Revolution so brutal mit Kultur und Werten des eigenen Volkes umgegangen. Wie die Mongolen fielen die Jünger Chomeinis über das Land und die Menschen her. Denkmäler, Wandmalereien, Miniaturen und andere Kunstwerke aus weit zurückliegenden Zeiten, vor allem aus der vorislamischen Zeit, wurden zerstört, zahlreiche Bibliotheken mit wertvollen handgeschriebenen Büchern ausgeraubt. Auch Bücherverbrennungen, Sturm auf Verlage und Buchhandlungen, Verhaftungen von Schriftstellern, Verlegern gehörten schon wenige Monate nach der Machtübernahme zum Alltag.
Das Regime verfolgte kein geringeres Ziel, als ' einen neuen Menschen zu schaffen, einen Menschenj der auf alle Genüsse des Lebens verzichtet, die Trauer der Fttude, das WeineB^dem Lachen vorzieht, in Gott und für Gott und mehr noch für seine irdischen Vertreter lebt und ihnen als Untertan dient. Die Propagandisten des Regimes wußten gut, welche Geister und Instinkte sie wach zu rufen hatten, wie man sadistische Triebe, vor allem bei den weniger aufgeklärten Massen hervorrufen kann. Wegen „moralischer* Vergehen wurden Menschen auf offener Straße ausgepeitscht, gesteinigt und erhängt. Es ging dabei zumeist um unerlaubte sexuelle Beziehungen, den Genuß von alkoholischen Getränken oder auch nur um das Schwimmen im Meer, das bei Frauen allenfalls mit langen Kleidern, Hosen und Kopfbedeckung geduldet wurde.
Die verlogene Moral der Mullahs, ihre erbitterte Feindschaft gegen Lust, liebe und Phantasie, führte zu einer barbarischen Unterdrückung der Frauen. Abertausende wijrden aus den Ämtern und Fabriken gejagt. Bei der neuen islamischen Gesetzgebung werden ihnen überall ihre ohnehin beschränkten Rechte weggenommen. Sie sollten wieder zu Heim und Herd zurückgeschickt werden und ihren Männern als Sklavinnen dienen. Wenn sie sich auf den Straßen zeigen, dann sollen sie nicht nur Kopf, Hände und Beine bedecken, sondern auch ihr Gesicht. Am liebsten soll man gar nichts von ihnen, nicht einmal die Konturen ihres Körpers sehen können. Frauen, die sich dem widersetzen, werden oft in der Öffentlichkeit mit Säure überschüttet oder von organisierten Banden zusammengeschlagen.
Das Chomeini-Regime ist ein Regime der permanenten Krisen, Aggressionen, Unruhen und Zerstörungen. Hier liegt die Substanz dessen, was die Kultur zur Unkultur macht und das Menschliche ins Menschenfeindliche, die Liebe in Haß, den Aufbau in Zerstörung, die Ordnung in Chaos und die Freude in Wut verwandelt. Das Wort JFriede" ist im Staate Chomeinis verpönt. Das Regime lebt von Unruhe, Zerstörung, vom Krieg nach außen und nach innen. Die immer schlimmer werdende wirtschaftliche Lage, der vielseitige Terror gegenüber allen Teilen der Bevölkerung, die Schließung der Universitäten, die rigorosen Säuberungen in Ämtern, Behörden und Schulen, die Verstaatlichung von Industrie und Handel, die Rationierung der Lebensmittel, der Mangel an Konsumgütern, die rapide zunehmende Arbeitslosigkeit, die Wohnungsnot, die Stillegung großer Bereiche der Industrie, die soziale Unsicherheit und nicht zuletzt der Krieg gegen den Irak und seine Folgen haben inzwischen die Zahl der Unzufriedenen erheblich gesteigert. Von den 95 Prozent der Bevölkerung, die bei der Machtübernahme Chomeini unterstützt hatten, ist nur noch ein geringer Prozentsatz übriggeblieben. Das führt dazu, daß die Opposition, vor allem die Modjahedin, die sich inzwischen zu einer mächtigen politischen und auch militärischen Kraft entwickelt hatten, sich auf eine große Basis im Volk stützen kann. Auch die Demokratische Partei des iranischen Kurdistan und kleinere politische Gruppierungen der Region haben trotz massiver militärischer Angriffe größere Gebiete Kurdistans bis heute befreit Aalten können.
Die Eskalation der Gewalt und Brutalität ist mittlerweile zum einzigen Mittel geworden, mit dem sich das Regime - niemand weiß wie lange - noch an der Macht halten kann. Die Gefängnisse, so wird geschätzt, sind inzwischen mit vierzigbis fünfzigtausend Häftlingen überfüllt. Die täglichen Hinrichtungen von durchschnittlich fünfzig Personen, die unglaublichen Folterungen, Erhängungen, jetzt immer häufiger auch auf öffentlichen Versammlungen, beweisen nicht gerade Stärke und Stabilität des Regimes. Wenn junge Mädchen in den Gefängnissen vor ihrer Erschießung vergewaltigt werden, damit sie nicht als Jungfrauen ins Paradies kommen, zeugt das nicht gerade von einer hohen Moral und Kultur, die ein Volk begeistern und die die Grundlage für die Entstehung des „Neuen Menschen" im 20. Jahrhundert abgeben könnte.
Verfälschte Sehnsüchte
Chomeini ist deshalb noch an der Macht, weil er zwar über eine ziemlich schmale, aber ungeheuer aggressive Anhängerschaft verfügt Fanatiker, deren Existenz mit der Existenz des Regimes' verbunden ist, sind eher bereit, den Rest des Landes zu zerstören und den Märtyrertod zu sterben, als endlich aufzuhören.
Wie anders als durch Gewalt kann sich das Volk im Iran vor einer solchen Herrschaft retten? Ein von Terror, Trauer und Tod heimgesuchtes, enttäuschtes Volk sieht sich schon wieder gezwungen, seinen Willen nach Freiheit, Demokratie und Unabhängigkeit gegen eine brutale Diktatur durchzusetzen. Wird es dazu imstande sein? Die Erfahrung des Kampfes gegen das Schah-Regime war nicht-nur ein Gang vom Regen in die Traufe — es war ein Gang in die Hölle.
Zwischen dem Kniefall in Persepolis, wo versucht wurde, nationale Tradition und Kultur auszugraben und sie, vermischt mit einem Abglanz westlicher Zivilisation, dem Volk als den wahren Weg zu eigener Identität zu suggerieren, und dem „ YersMcJ^jGhomeiiiis» der. Bevölkerung Ordnung und WertvorsteÜungen einer vor 1400 Jahren entstandenen islamischen Stammesgesellschaft als erstrebenswertes Ideal vorzugaukeln, liegen keine zehn Jahre. In beiden Fällen haben die Diktatoren Sehnsüchte der iranischen Bevölkerung aufgegriffen, um sie zu verfälschen und für den Ausbau der eigenen Macht zu mißbrauchen.
Liegt in dem furchtbaren Schicksal, das der iranischen Bevölkerung unter Chomeini zuteil wurde, nicht zugleich die Chance, einen positiven, in die Zukunft gerichteten Nationalismus mit einem reformierten, der modernen Entwicklung angepaßten Islam in Einklang zu bringen? Ohne 'Zweifel müßte die Alternative zum Chomeini-Regime auf diesen beiden Pfeilern der iranischen Kultur und Geschichte errichtet werden. Wer Tradition und Kultur mißachtet oder glaubt, nach den negativen Erfahrungen über die islamische Republik am Islam vorbeigehen zu können, wird Schiffbruch erleiden. Um aus dem ewigen Kreislauf des Blutvergießens herauszukommen, müssen die unterschiedlich orientierten gesellschaftlichen Kräfte miteinander koalieren. Es muß eine breite Front gebildet werden, die den Pluralismus sowohl in der politischen Macht wie auch ah der Basis gewährleistet und die Verwirklichung demokratischer Verkehrsformen zürn Ziel hat. Mit einer Diktatur ist der Iran nicht regierbar. Jede Monopolisierung der Macht, ob von Militärs, Linken, Radikalen oder Nationaldemokraten ist außerstande, der Gewalt ein Ende zu setzen, das bereits zerstörte Land aufzubauen und die tiefen Wunden zu heilen, die das Volk erlitten hat.
zu groß und daher gut überschaubar. Fast ausschließlich Stücke mit einer Beziehung zu Nürnberg, Möbel, Bilder und Fayencen von außerordentlicher Qualität.
November in Nürnberg: Nicht mehr lange, dann gehen die Lichter am Christkindlmarkt an, verzuckert vielleicht der erste Schnee die Frauenkirche und den Schönen Brunnen. Nach Lebkuchen, Zuckerwatte und gebrannten Mandeln wird es duften, eine heile Welt.
Wo die Buden der ambulanten Händler und Geschäftemacher stehen, brannte 1348 das jüdische Getto bis auf die Grundmauern nieder, deren Bewohner wurden — mit kaiserlicher Billigung übrigens - „ausgeschafft". Einige mögen wohl nach Fürth entkommen sein, wo man sich toleranter verhielt und deswegen von den Nürnbergern verspottet oder zumindest mißtrauisch beargwöhnt wurde. Zur Sühne ließ der Rat die Frauenkirche bauen, was leider nicht verhinderte, daß fast 600 Jahre später gewisse Gesetze, die Juden betreffend, den Namen der Stadt erhielten. Krumme Wege geht die Geschichte bisweilen, wenn auch der Zufall eine wichtige Rolle spielen mag..
Ich verließ Nürnberg an einem Abend im November. Noch immer hüllte Sprühregen die Stadt in nassen Dunst. Mir fiel ein Satz von Reinhart Baumgart ein: „Wir alle, die wir fremd in diese Stadt einfallen, haben den bunten Nebel aus Dürer und Sachs, Wackenroder, Wagner und Streik eher im Kopf. Wir erwarten dort nichts als Erinnerung und Geschichte, kaum Gegenwart."
Das mag vielleicht für den ersten Besuch Gültigkeit haben; später begreift man Nürnberg als Stadt, die mit Stillstand nichts im Sinn hat. Andererseits: So selten ist es auch wieder nicht, daß eine Stadt ihre Faszination aus der Vergangenheit bezieht. Da befindet sich Dürers Geliebte in bester Gesellschaft.
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Auskunft: Verkehrsverein Nürnberg, Eilgutstr. 5, 8500 Nürnberg 70, Tel (0911) 20 42 56.
Quelle: ZEIT onlinehttp://www.zeit.de/1982/47/Das-Mullah-Regime-ist-die-Hoelle