Eine Partei für heute und die Zukunft des Irans
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG
Konstitution und Konstitutionalismus
ERSTES KAPITEL: DAS NATIONALE BEWUSSTSEIN
A) Die Außenpolitik
B) Kulturpolitik
ZWEITES KAPITEL: FREIHEIT
DRITTES KAPITEL: FORTSCHRITT UND ENTWICKLUNG
A) Wirtschaft
B) Zivilgesellschaft
C) Ausbildung
VIERTES KAPITEL: SOZIALE GERECHTIGKEIT
FÜNFTES KAPITEL: POLITISCHE UND STRATEGISCHE MAßNAHMEN
SECHSTES KAPITEL: EINE UNTERSCHIEDLICHE ANSCHAUUNG
SIEBTES KAPITEL: PARTEI DER MITTE RECHTS
Einleitung
Konstitution und Konstitutionalismus
Seit der offiziellen Gründung der Costitutionellen Partei Irans (CPI) im Jahre 1994/1373, früher bekannt als Die Organisation Iranischer Konstitutionalisten, bildet die Frage nach der Beschaffenheit, nach der Satzung und nach dem politischen Programm der Partei, auf die folglich im Hinblick auf die konzeptionellen und pro-grammatischen Fortschritte der vergangenen Jahre eingegangen wird, das zentrale Blickfeld der Diskussionen. Nach einem kurzen Überblick über die Geschichte des Konstitutionalismus im Iran gewinnen dann das politische Konzept und die Strategie des Neu-Konstitutionalismus an Bedeutung.
nnerhalb dieses Konzepts kommen Theorien und Vorschläge zur Praxis zusammen, denn wir sind der Meinung, dass die Aufgabe einer politischen Partei u. a. auch darin besteht, Antworten auf die Fragen zu finden, welche sich aus den Diskussionen über politische Strategien und Stellungnahmen ergeben. Solche Antworten müssen auf dem Gedankengut der Partei basieren. Parolen und zeitbedingte Ideologien können uns heute kaum helfen; die Zeit der Ideologien ist vorüber, die die ganze Welt nur in ihrem eigenen Sinne zu vereinigen glaubten. So steht in meiner Konzeption eine praktische und unreligiöse Strategie in der Politik und in der Wirtschaft stets im Vordergrund. Eine erfolgreiche Zukunft erwartet uns nur dann, wenn Realismus und Toleranz im unserem Vorhaben nachdrücklich betont werden. Es ist nicht unsere Absicht, für jedes Problem eine Lösung und für jedes Vorhaben ein Programm zu bieten; aber wir sind darum be-müht, uns auf unsere Erfahrungen und auf die der anderen zu stützen und das politische Programm für die Zukunft Irans vorzustellen.
***
Die Begriffe Konstitution und Konstitutionalismus (pers. mashruteh) sind in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem osmanischen Einfluss im Wortschatz der persi-schen Sprache aufgenommen worden. Die Türken leiteten aus dem französischen Chartre und der lateinischen Cartula oder Carta, die anfänglich für Gesetzestafel stand, den Begriff mashruteh, der zugleich die Bezeichnung für das Gesetz und das Grundge-setz war; dadurch konnte der königliche Einfluss auf das politische Geschehen eingeschränkt werden. Magna Carta, das erste konstitutionelle Gesetz, das die Macht des Königs einschränkte und zu Beginn des 13. Jahrhunderts vom König von England an den Lord weitergegeben wurde, ist das größte Epigraph.
Die Konstitution im heutigen Verständnis und Gebrauch lässt sich auf zwei Grundlagen zurückführen: auf die amerikanische Grundlage und somit auf den Sieg der amerikani-schen Revolution, und auf die britische. In Großbritannien nehmen das Zivilrecht und die vorhandenen Gesetzgebung (Parlament) die Funktion auf, die in anderen Ländern durch die Verfassung geregelt ist.
Im Iran wurde dieser Begriff durch die damaligen Intellektuellen im Zusammenhang mit costitutional government als hokumat-e mashruteh (gesetzliches Gouvernement versus despotische Monarchie) präzisiert, und beschreibt seitdem ein Staatssystem, des-sen Existenz auf einer demokratischen Verfassung beruht, und somit den Gegensatz zum Despotismus und zur absoluten Herrschaft des Diktators darstellt. Mit anderen Worten leitet hokumat-e mashruteh seine Legitimität vom volksverbunden Willen ab und grenzt sich somit von einer despotischen Monarchie ab.
In der Literatur des Konstitutionalismus werden der persische Begriff mashruteh und die lateinische Bezeichnung Konstitution gleichwertig verwendet. In einem solchen Re-gierungssystem ist die Form des Staats - Monarchie oder Republik - nicht von Rele-vanz; beide sind dem Parlament und somit dem Gesetz unterstellt, das ihre Existenz legitimiert.
Die erste Generation, die als Vorgänger der Konstitutionellen Bewegung in die irani-sche Geschichte eingegangen ist, kannte bereits das Gedankengut der westlichen Intel-lektuellen und wollte demnach die sozialen und politischen Umstände im Iran revoluti-onieren. Um zu diesem Zweck zu gelangen, sah der intellektuelle Kreis die einzige Möglichkeit im Einschränken der höfischen Macht. Der Iran war damals innerlich ein zerrissenes Land, das seine Einheit quasi nur auf der Landkarte repräsentieren konnte; ohne Armee, ohne ein Finanzsystem, ohne pädagogische und schulische Infrastruktur und ohne akademische Organisationen. Diese waren Organisationen, die sich innerhalb der damaligen modernen Welt behaupten konnten. Die Agrarwirtschaft war nach wie vor von ländlichen Produktionen abhängig. Das Gesundheitssystem ließ noch vieles zu wünschen übrig. Unter solchen Umständen war die Rolle der Mittelschicht innerhalb der fortschrittlichen Bewegung auf dem Wege zur Moderne in der iranischen Gesell-schaft von großer Bedeutung.
Das Konzept der Intellektuellen, die sich als Konstitutionelle vorstellten, ging über die bloße Form der Regierung hinaus. Diese setzten mit Recht die Priorität zunächst im politischen Wesen Irans. Die Reform des Herrschaftssystems wurde als erster Schritt verstanden, durch den ein politisches Konzept zur Einheit und Unabhängigkeit Irans geschaffen werden konnte. So konnte der Iran sich parallel zu den modernen westlichen Ländern entwickeln. Daher markiert die Konstitutionelle Bewegung nicht nur den Ver-such über die Errichtung eines demokratischen Systems, sondern auch den Anfang des Modernitätsprozesses im Iran.
Für die Konstitutionellen standen Begriffe wie Demokratie, Moderne und die Herrschaft des Volkes in einer unmittelbaren Abhängigkeit voneinander. Sie betrachteten die De-mokratie und das Allgemeinrecht des Bürgers neben dem Patriotismus, Nationalismus und den Entwicklungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Rechtssystem als Charakteristi-ka einer modernen Gesellschaft, die dem Wunsch nach Modernität zum erstenmal in ihrer Geschichte nachzugehen versuchte.
Alles, was wir heute unter der Berücksichtigung unserer begrenzten Möglichkeiten als modern bezeichnen, geht auf die Ära der konstitutionellen Regierungsform zurück. Po-litische Parteien, Schule und Theater auf soziokultureller Ebene, Roman auf der literari-schen Ebene, aber auch Eisenbahn und Industrie im Wirtschaftsbereich, Krankenhäuser, Gleichstellung von religiösen Minderheiten sowie Gleichberechtigung von Mann und Frau und Abschaffung von provinziellen Kleinmächten im sozialen Bereich haben ihre Wurzel im Iran in der Konstitutionellen Bewegung, obschon die Reformpläne, welche den Aufbau solcher Systeme beinhalteten, zu jener Zeit nicht vollständig angeführt wer-den konnten. So blieb das konstitutionelle Konzept damals nur eine Theorie; dennoch kann man von der potentiellen Energie einer Gesellschaft sprechen, die sich zum Positi-ven entwickeln wollte. Obwohl die iranische Gesellschaft heute einen Rückschlag erlei-det, der ihr noch schlimmere Umstände verschaffen hat als vor 1906, kann das Konzept der Konstitutionalisten immer noch als der Wendepunkt betrachtet werden, an dem man noch heute ansetzen kann, um eine Gesellschaft zur Modernität zu bewegen.
Auch heute betrachten wir die Modernität, ihre Bedeutung und Funktion hinsichtlich der Entwicklungen in den westlichen Ländern als zentrales Problem. Es bestehen noch Konflikte in Dezentralisierung der Macht, in der Rolle der Gesellschaft und im theokra-tischen System; in Nationalismus und Separatismus einerseits und in Globalisation an-dererseits, im wirtschaftlichen Aufstieg und in der Dominanz des Bazars, in der sozialen Entwicklung und in der geschlechts- und religionsspezifischen Ungerechtigkeit (Schiismus gegen Nachfolger anderer religiösen Überzeugungen) und letztlich auch in der Frage nach sozialer Gerechtigkeit. Hinzu kommt die zunehmende Kluft in gesell-schaftlichen Schichten. Unsere Gesellschaft ist heute in Anbetracht der obigen Tatsa-chen mehr als denn je dazu bereit, sich mit der Frage nach der Modernität, der nationa-len Einheit und der Rolle des Konstitutionalismus auseinanderzusetzen.
Wir betrachten den Konstitutionalismus als ein gesellschaftlich und politisch bevorzug-tes Konzept. 1941 (1320) haben viele Autoren die Konstitutionelle Bewegung (Konsti-tution: pers. Mashrooteh) hinsichtlich ihrer politischen Entwicklung in drei Abschnitten gegliedert:
1. Der Erste Mashrooteh: 1906-1907 (1285-1286) - dem Jahre des Bombarde-ments des Parlaments
2. Der Zweite Mashrooteh: 1909-1921 (1288-1299) - dem Jahre des Putsches am 3. Esfand
3. Der Dritte Mashrooteh: 1941-1953 (1320-1333) - dem Jahre von Mossadeghs Sturz.
Vertreter dieser Meinung summieren die Geschichte des Konstitutionalismus nur unter dem parlamentarischen Aspekt. Nach ihrer Auffassung erkläre sich die Existenz von Mashrooteh nur im Bestehen des Parlaments. Die Reduzierung des Prozesses auf dem Wege der Modernität auf nur einen Bestandteil des Mashrooteh stimmt in einer solchen Auffassung mit den tatsächlichen Zielen der Konstitutionellen Bewegung und der Au-tonomie des Parlaments in den wenigen Jahren seines Bestehens nicht überein.
In Wirklichkeit aber umfasst die Entwicklung des iranischen Konstitutionalismus ein zeitliches Spektrum von den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bis zum siebten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, was als Ära der Konstitutionellen Bewegung bezeichnet werden kann. In dieser Zeitspanne trat auch der Diskurs über Modernität und Moderni-sierung im Iran hervor und entgleiste eine jahrtausendelang traditionell geführte Gesell-schaft von ihrer Entwicklungsbahn. In dieser Tradition wird die islamische Theokratie auch als eines der vielen Fehlkonzepte bewertet, das in machen fundamentalen Punkten sogar als Teil der Konstitutionellen Bewegung fungierte.
Das Parlament war der größte Erfolg der Konstitutionellen Bewegung. In der Zeitspan-ne seines Bestehens gelang ihm jedoch nur der Widerstand gegen fremde und imperia-listische Mächte; gerade darin bestand auch seine Macht. Nach der zweiten Periode und nach der Revision des Wahlgesetzes wurden die Wahlen in den kleineren Städten von den Feudalmächten kontrolliert. So konnte das Parlament nicht mehr als repräsentative Mehrheit der Bevölkerung gelten. Der Einfluss der feudalen Macht auf das Parlament beeinträchtigte dessen Autorität und politische Wirkung. Ferner war der Iran in der Zeit vor Reza Schah I. ein Land, das nicht nur unter dem feudalen System stand, sondern auch unter der Besatzung von ausländischen Mächten, welche das Zoll- und Bankwesen für sich in Anspruch nahmen.
Während der ersten 15 Jahre des Mashroteh kann man von einem funktionellen Parla-ment nicht sprechen. Die Dauer von den Kabinetten beschränkte sich höchstens auf 2 Monate und 23 Tage. Auch in den Jahren nach dem August (Sharivar) 1920 konnte das Parlament keine gute Bilanz ziehen. Die Ministerrate waren meistens von kurzer Dauer. Die meisten Kandidaten waren korrupt und um ihren eigenen Profit besorgt und nicht um das Wohl des Volkes. Sogar Mohammad Mossadegh, der das Parlament unter seine eigene Kontrolle brachte und Reza Schah auf härteste Weise kritisierte, behauptete einst, das Parlament sei das Haus der Korrupten. Er nahm Partei gegen das Parlament und ging sogar bis zur Auflösung des Parlaments vor, das unter ihm selbst gewählt wor-den war.
* * *
Um die Demokratie in einem Land funktionsfähig zu machen, bedarf das Land zunächst eines Rechtssystems, das Sicherheit und Ordnung gewährleisten kann. Diese Sicherheit erfolgt durch ein stabiles Rechtssystem und durch eine unabhängige Justiz sowie durch ein gewisses Niveau an ökonomischer und sozialer Entwicklung. In der Dritten Welt konnte die Zivilgesellschaft nur in den Ländern Erfolge erzielen, in welchen ein souve-räner und zentraler Staat regierte. Sogar einige der ehemaligen Kolonien - besonders die des Britischen Imperiums - hatten in der gleichen Epoche bessere Chancen als der Iran. Indien zum Beispiel: Es ist viel über die demokratischen Prozesse in Indien berich-tet worden. Indien besaß zum Zeitpunkt seiner Unabhängigkeitserklärung ein beach-tenswertes Bildungs- und Verwaltungssystem. Die indische Justiz repräsentierte ein vorbildliches System, von dem alle anderen Länder der Dritten Welt nur hätten träumen können. Dies war weit entfernt von dem herrschenden System im Iran nach der Jahr-hundertwende, in dem die Nation einem beliebigen und von der Dominanz der Mullahs geführten System unterworfen waren.
Die Konstitutionalisten haben bereits zu Beginn die Problematik der Errichtung einer zivilen Gesellschaft im Iran geahnt und suchten deshalb nach Lösungen. Reza Schah I. kam mit der Zustimmung der Mehrheit und trotz der Prozesse einer kleinen Minderheit an die Macht. In der Tat nahm er unmittelbar an der Realisierung der konstitutionellen Pläne teil. Die zukunftsorientierten Konzepte der Konstitutionalisten und die Vorschlä-ge über parlamentarische Pläne, die zu jener Zeit mehr oder minder nur in den Büchern und Artikeln beschrieben worden waren, bildeten die Grundlage von Reza Schahs Plä-nen für die nächsten 20 Jahre. Die zentrale Frage stelle sich damals nach der Priorität der Konzepte und Pläne. Die eine Möglichkeit bestand in der Gründung eines einheitli-chen, zentralen und souveränen iranischen Staates, der seine Zukunft im sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg sah, und die andere - ohne Rücksichtnahme auf wirtschaftli-che und kulturelle Stagnation - im Versuch zur Errichtung eines demokratischen Staa-tes, der nur für eine kleine Schicht der Gesellschaft, nämlich die Intellektuellen, be-stimmt war, welche sich nur in der Hauptstadt versammelten und sich im Parlament und in der Presse behaupten konnten. Nach dem dritten Esfand 1921 (1299) war ein großer Teil der politisch Intellektuellen und Journalisten sogar von der Gründung eines souve-ränen Staats überzeugt. Mit anderen Worten: Die Konstitutionelle Bewegung selbst konnte ihren Sieg bereits feiern, weil die Gesellschaft sich auf dem Wege der Moderni-tät befand; die konstitutionelle Regierung jedoch stand als Verlierer da, denn sie konnte ihre Ideale nicht verwirklichen. Auch Reza Schah I. konnte seine Pläne im großen und ganzen nicht realisieren. Denn einerseits stand ihm nicht genug Mittel zur Verfügung und andererseits stützte er sich immer mehr auf die Gewaltausübung gegenüber einer Bevölkerung, die sich nach langer Zeit der Unterdrückung der Realisierung ihres Wun-sches in einer zivilisierten Gesellschaft nahe fühlte und an ihrem eigenen Schicksal teil-haben wollte. In der Geschichte Irans besteht Reza Schahs Verdienst darin, dass er das Land vor einer sicheren Zerlegung rettete. Seine Regierung konnte durch die Errichtung eines stabilen Verwaltungssystems und einer starken Armee aus einem Land, das kurz vor dem Abbruch und der Zerlegung stand, eine Einheit mit Kommunikations-, Bil-dungs- und Wirtschaftswesen machen; dieses Land war imstande, einen zivilen Staat zu sichern, der zugleich das Abbild einer modernen Gesellschaft abgeben konnte. Ein her-ausragendes und gesellschaftliches Merkmal war die errungene Freiheit für Frauen. Den Plänen von Reza Schah folgten die seines Sohnes Mohammad-Reza Pahlavi, der nicht nur eine politisch-wirtschaftliche Reform des Landes, sondern auch die Bildungsreform in die Wege leitete, die zu einer der größten Reformen im Iran zählt. Dabei ist zu be-merken, dass solche Reformen die Macht und den Einfluss der Mullahs beeinträchtig-ten. Tatsache ist es, dass die iranische Nation den Weg zur Modernität bereist einge-schlagen hat, so dass das heutige Mullah-Regime die Gesellschaft von ihren zu Schahs Zeiten verankerten Werten nicht mehr abbringen kann.
Die meisten Jahre der insgesamt 37jährigen Regierungszeit des Mohammad-Reza Schah waren der Überwindung von Krisen gewidmet. Daher konnte sich auch keine günstige Gelegenheit zur Durchsetzung von den Plänen der Konstitutionalisten anbieten. Erst in seinen letzten 15 Jahren haben die Konzepte und Pläne der Konstitutionalisten abermals an Aufmerksamkeit gewonnen; sie konnten teilweise verwirklicht werden und teilweise in der Praxis ihre Mängel zeigen.
Noch einmal wurde die Staatsgewalt in Teheran und in Schahs Person zentralisiert. Es wurde ein zentraler Plan für den sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg vorgelegt und durchgeführt, die den Iran zum ersten mal in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtau-sends zu einem plötzlichen und kraftvollen Aufstieg (take off) führte. Aber die Zentrali-sierung der Staatsmacht und der Staatsgewalt an einem Ort und in einer Person schränk-te die Ideen, Perspektive und Möglichkeiten der allgemeinen Entwicklungen ziemlich stark ein. Die Folge war Korruption in Wirtschaft und Politik. Ferner wurden die Priori-täten an falschen Stellen gesetzt. Dies führte zur Schwächung der Gesellschaft und der Politik, die letztlich in die Islamische Revolution von 1979 mündete.
Konzentration des gesamten Entscheidungsprozesses in einer einzelnen Person, mit all seinen Fehlern, die u. a. auch das Wesen eines normalen Menschen ausmachen, führte zu fehlerhaftem Urteil und Nepotismus in den öffentlichen Angelegenheiten; so weit dass nur eine kleine Gruppe in Schahs Umgebung ihre Macht und ihren Einfluss auf politisch verbündete Kapitalisten ausübte. Eine Person, wie den Schah, der tagtäglich vielerlei Entscheidungen zu treffen hat, kann man einfacher beeinflussen; und dies ha-ben sich solche kleine Gruppen vorgenommen. Die Akzentsetzung auf eine quantitative Entwicklung, die nur die Statistik hochtreiben sollte, vernachlässigte einen gründlichen und tiefgreifenden Aufschwung innerhalb der Gesellschaft. Eine wirtschaftliche, soziale und vor allem politische Wende in jenen Jahren schien noch weit entfernt zu sein.
Eine der wichtigsten Leistungen der Pahlavi-Monarchen in den Entwicklungsjahren war die Unterstützung einer dynamischen mittleren Schicht, die sich zum erstenmal im Iran behaupten konnte. Die Entwicklung eines demokratischen und industriellen Gesell-schaft ohne die Mittelschicht ist nicht möglich. Unter Mohammad Reza Schah erreichte die iranische Mittelschicht ein großes Ansehen, so dass sie Hand in Hand eines Refor-misten wie Mohammad Reza Schah den Prozess der Entwicklungen im Iran vorantrei-ben konnte. Diese Mittelschicht wurde jedoch durch unterschiedliche politische Hinder-nisse blockiert. Die Entwicklungen von den 40er bis 60er Jahren des 20. Jahrhunderts gaben der iranischen Gesellschaft das nötige Selbstbewusstsein, so dass sie sich nicht vorwerfen ließ, sie könne nicht über sich selbst regieren und ihr Schicksal liege in den Händen von Göttern und Führern.
Mitten in allen diesen großen Ausführungen und Fehlern bereitet die islamische Ent-wicklung, die ein hindernder Faktor aller kulturellen, sozialen und politischen Mängel und Misserfolge in Irans Aufstieg und Entwicklung auf dem Weg der Modernisierung war, der konstitutionellen Ära ein Ende. Jedoch war das, was die Iraner bis dahin an Modernität und wirtschaftlichen Entwicklungen in ihrer Geschichte erlebt haben, nicht mehr zu tilgen.
Die Wiederbelebung des iranischen Patriotismus und der iranischen Geschichte und die Suche nach der iranischen Identität innerhalb einer 3000jährigen Geschichte, die in der Bezeichnung Iran vereint wird, ist eine der Eigenschaften des Modernisierungsprozes-ses im Iran. Die Aufhebung von Feudalismus, die Emanzipation von Frauen, die Selb-ständigkeit von Landwirten und das Hervortreten der Mittelschicht waren die Ziele, die im Modernisierungsprozess erreicht wurden. Einen so hohen Lebensstandard wie zu Schahs Zeiten haben die Iraner nie erlebt und werden auch in den Jahren der islami-schen Herrschaft nicht mehr erleben können. Die iranische Gesellschaft erreichte da-mals alle Mittel für ein modernes Leben, und der Iran selbst gewann seinen Platz in der internationalen Gemeinschaft. Das, was der Iran durch die Konstitutionellen, mit allen Fehlern und Unerfahrenheit, gewann, hat sich als hervorragendes Charakteristikum ei-ner modernen Gesellschaft gezeigt.
Trotz allem verlangte die Konstitutionelle Bewegung nach ihrem unleugbaren Ausfall in ihrer Phase bis zur Islamischen Revolution eine vollständige Aufwertung in der The-orie und Praxis. Diese Aufwertung begann nach der Islamischen Revolution und legte im Namen des Neuen Konstitutionalismus den Grundstein der Konstitutionellen Partei Irans.
Der Neue Konstitutionalismus bezieht sich auf die Inhalte und Ziele der Konstitutionel-len Bewegung, also zunächst die Modernität, die jahrzehntelang in den Hintergrund getreten war. Der Konstitutionalismus hatte eine wesentlich tiefgreifendere Bedeutung als die, die man ihm vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg beigemessen hat. Die Be-deutung und Wirkung des Konstitutionalismus wurde vor allem durch die Opposition auf eine Form der despotischen Regierung beschränkt. Dies war einer der hauptsächli-chen Misserfolge der Pahlavi-Monarchie, die selbst als Sekundärteil der Konstitutionel-len Bewegung hervorgetreten war. Sie ignorierte immer mehr die Dynamik und die po-tentielle Bereitschaft der Gesellschaft zur Modernität.
* * *
Wie es gezeigt wurde, bildeten das nationale Bewusstsein, Freiheit, Fortschritt und so-ziale Gerechtigkeit das Projekt des Konstitutionalismus. Modernität und Modernisie-rung der Gesellschaft spielte sich am Anfang des 20. Jahrhunderts in allen erwähnten Bereiche wider. Dies inspirierte im Ganzen die Neuen Konstitutionalisten, so dass sie das am Anfang des 20 Jahrhunderts noch unvollständig gebliebene Konzept zu einem komplexen Projekt des ausgehenden 20. Jahrhunderts machten.