HintergründeDie iranische Bahá’í-Gemeinde ist die größte religiöse Minderheit im Land, wird aber als nachislamische Offenbarungsreligion anders als Christen, Juden und Zoroastrier nicht als „schützenswerte religiöse Minderheit“ in Artikel 13 der Landesverfassung genannt. Im Gegenteil: Bahá’í gelten aufgrund ihres Anspruchs, eine Religions-stiftung nach dem Islam zu sein, als Apostaten und Häretiker. Sie werden als „Unreine“ und „perverse politische Sekte“ bezeichnet. Die 350.000 Angehörige der Bahá’í-Religion - friedliebende und zur Obrigkeit loyale iranische Staatsbürger - gelten wahlweise als „Gefahr für die nationale Sicherheit“, „Spione des Westens“ oder „Zionisten“. Die haltlosen Anschuldigen dienen zur Rechtfertigung von umfangreichen, systematischen und staatlich angeordneten Verfolgungen, die alle Lebensbereiche betreffen und jeden Bahá’í gleichermaßen bedrohen.Entgegen den gegenüber dem Westen regelmäßig vorgebrachten Aussagen der iranischen Regierung werden die iranischen Bahá’í ausschließlich aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen verfolgt. Der beste Beweis hierfür ist, dass den Bahá'í immer wieder die Freiheit angeboten wurde, wenn sie dem Bahá’í-Glauben abschwören und zum Islam übertreten. Die iranische Regierung muss sich fragen lassen, ob es ihr wirklich um Interessen der Staatssicherheit geht, wie sie stets behauptet, und nicht eher um ideologische Fragen und das Ausleben von politisch motiviertem Hass und religiösem Fanatismus,
· wenn – wie bei den jüngsten Vorkommnissen – ein Bahá’í-Friedhof zerstört und dabei Bulldozer eingesetzt werden, um auch noch die Knochen und sterblichen Überreste der Verstorbenen zu zermalmen;
· wenn hunderte von Bahá’í-Schulkindern quer durch den Iran von Lehrern und anderem Schulpersonal drangsaliert werden, in dem Versuch, sie zu zwingen, ihre Religion zu leugnen;
· wenn Bahá’í-Studienbewerbern nur aufgrund ihrer Überzeugungen der Zugang zu höherer Bildung verweigert wird;
· wenn Dutzende verunglimpfender anti-Bahá’í-Artikel in Kayhan und anderen regierungsamtlichen Medien veröffentlicht werden.
Die Gewährung der Menschenrechte unter einem religiös-ideologischen Vorbehalt ist ein Grundproblem der iranischen Gesellschaft. Die Bahá’í sind in der derzeitigen Situation des Iran ein Lackmus-Test für die Trennung von staatsbürgerlichen Rechten und individueller religiöser Einstellung. In diesem Zusammenhang wird eine starke Zunahme an Stimmen aus der iranischen Zivilgesellschaft registriert, die sich für eine solche Trennung einsetzen und Bürgerrechte für die Bahá’í fordern, unabhängig von der Bewertung ihres Glaubens.Vor dem Hintergrund eigener Verfolgungen setzt sich die Internationale Bahá’í-Gemeinde auf Ebene der Vereinten Nationen für die Stärkung der Religions- und Glaubensfreiheit für alle Menschen ein. Die Bahá’í fordern die Vereinten Nationen dringend auf, vier wichtigen und noch immer vernachlässigten Menschenrechts-problemen Beachtung zu schenken:
1. dem Recht, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln,
2. dem Recht, seine Glaubenseinstellung anderen mitzuteilen,
3. der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft und nationaler Regierungen gegenüber ausgegrenzten und friedlich organisierten religiösen Gemeinschaften,
4. der Verpflichtung religiöser Führer, sich für die Forderung und den Schutz des Rechts auf Religions- und Glaubensfreiheit einzusetzen. Seit jeher war es das Ziel der iranische Regierung, die iranische Bahá’í-Gemeinde als lebensfähige Einheit zu zerstören. Die hier dargestellten Vorfälle mit Berichtsstand vom 27. Januar 2009 belegen die Verschärfung dieser Kampagne. Alle hier genannten Ereignisse wurden durch die Internationale Bahá’í-Gemeinde verifiziert.
InhaftierungenNach unseren Informationen befinden sich aktuell mindestens 40 Bahá‘í willkürlich in iranischen Gefängnissen. Allerdings zeigt sich, dass genaue Angaben schwer zu ermitteln sind, da in allen Landesteilen Bahá‘í willkürlich festgenommen und gegen Hinterlegung einer vergleichsweise sehr hohen Kaution wieder freigelassen werden. Oftmals werden Bahá‘í auch 'nur' über Nacht von den Sicherheitsbehörden festgehalten. Zu einigen inhaftierten Bahá‘í können wir jedoch Einzelheiten benennen: - Nach wie vor wurde gegen die sieben im Evin-Gefängnis befindlichen Bahá‘í, die das informelle Führungsgremium der iranischen Gemeinde gebildet haben, keine schriftliche Anklage erhoben. Bei den Inhaftierten, die im März und Mai 2008 festgenommen wurden, handelt es sich um Fariba Kamalabadi, Mahvash Sabet, Jamaloddin Khanjani, Afif Naeimi, Saeid Rezaie, Behrouz Tavakkoli und Vahid Tizfahm. Noch im Mai äußerte ein Regierungssprecher auf einer Pressekonferenz, dass die sieben Personen aus "Sicherheitsgründen" und nicht aufgrund ihrer religiösen Überzeugung festgenommen und inhaftiert wurden. Die iranische Friedensnobelpreisträgerin und Rechtsanwältin Shirin Ebadi hat den Fall im Rahmen ihres Defenders of Human Rights Center in Iran zwar übernommen, ihr wurde jedoch der Zugang zu den Inhaftierten verweigert wie auch die Einsicht in die Akten verwehrt. Am 21. Dezember 2008 kam es zudem zur Zwangsschließung des Büros des Defenders of Human Rights Center durch die Regierung, so dass eine Verteidigung der sieben Inhaftierten weiterhin erschwert wurde. Dagegen hatte die Internationale Bahá’í-Gemeinde am 23. Dezember 2008 öffentlich Protest eingelegt.
Zuletzt konnten Anfang Januar 2009 Angehörige die sieben Inhaftierten besuchen. Die fünf männlichen Bahá’í befinden sich seit Mitte Dezember in einer zehn Quadratmeter kleinen, kahlen Zelle des Evin-Gefängnisses.
Unterdessen geht die Welle der Verhaftungen weiter:
-- Am 18. Januar 2009 wurden vier Bahá’í in Ghaemshahr in der Provinz Mazandaran festgenommen. Zuvor überfielen Angehörige des Informationsministeriums ihre Häuser. Bei den Inhaftierten handelt es sich um Frau Farzaneh Ahmadzadeh, Frau Emilia Fanaiyan, Frau Taraneh Sanaie und Frau Shahnaz Saadati.
-- Ebenfalls in Ghaemshahr wurde am 10. Januar 2009 Frau Pegah Sanaie festgenommen und nach Hinterlegung einer Kaution nach einer Woche wieder freigelassen.
-- Am 15. Januar 2009 wurde eine junge Bahá’í aus Schiras in Teheran festgenommen. In den ersten zwei Tagen wurde ihr verboten, mit ihrer Familie Kontakt aufzunehmen.
-- Mindestens sechs Bahá’í wurden in Teheran am 14. Januar 2009 festgenommen, darunter auch eine Bahá’í, die im Defenders of Human Rights Center in Iran als Assistentin von Frau Ebadi arbeitete. Den Verhaftungen gingen Überfälle auf Häuser von 12 Bahá’í-Familien in den frühen Morgenstunden voraus. Angehörige des Informationsministeriums beschlagnahmten dabei Bücher, Computer, CDs und andere Dinge. Die Namen der Verhafteten lauten: Herr Payam Aghsani, Herr Didar Raoufi, Herr Aziz Samandari, Herr Golshan Sobhani, Frau Jinous Sobhani und Herr Shahrokh Taef. Herr Sobhani wurde nach einigen Stunden wieder freigelassen.
Die inhaftierte Mitarbeiterin von Frau Ebadi, Jinous Sobhani, schied nach Schließung des Büros durch die Regierung am 21. Dezember 2008 aus.
-- Am 28. Dezember 2008 wurden während einer Urlaubsreise auf der Insel Kish im Persischen Golf Frau Faegheh Rafeie und acht Verwandte – ihre Töchter, zwei Schwestern, Nichten und zwei Angehörige aus Kanada – festgenommen und vor dem Hintergrund eines Gesprächs über die Bahá’í-Religionen mit einem örtlichen Ladenbesitzer verhört. Unter den Festgenommenen waren zwei Jugendliche und ein vierjähriges Kind. Einige der Familienangehörigen wurden am darauffolgenden Tag freigelassen, andere blieben zwei oder drei Tage in Haft. Frau Rafeie musste eine Kaution hinterlegen, ehe sie die Insel verlassen durften.
-- Bereits am 18. und am 22. November 2008 wurden drei Bahá’í in der Provinz Mazandaran festgenommen, einer in Ghaemshahr und zwei weitere in Sari. Dabei wurden ihre Wohnungen durchsucht und Eigentum beschlagnahmt.
-- Am 23. November wurden zudem die Urteile über drei Bahá’í, Ruhiyyih Yazdani, Zulaykha Musavi und ‘Ali-Askar Ravanbakhsh, gesprochen, die zwei Monate zuvor in Yasouj in der Provinz Kohgiluyeh va Bouyerahmad sowie einer Nachbargemeinde festgenommen worden waren. Sie wurden zu je einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt, wobei zwei Jahre zur Bewährung ausgesprochen wurden. Die drei Bahá’í betreuten ein humanitäres Projekt, bei dem 5 bis 7-jährigen Kindern Werteerziehung, Malen und Zeichnen sowie Theaterspielen nahegebracht wurden. Die Kinder, die an diesem Kurs kostenfrei teilnahmen, stammten aus dem verarmten Dorf Mehryan am Rande der Stadt Yasouj. Den Bahá’í wurde zu Last gelegt, dass sie „Propaganda gegen die Staatsordnung der Islamischen Republik zugunsten von Gruppen“ begangen hätten, „die gegen die Regierung opponierten“. Auch hätten sie „Gruppen gebildet und Aktivitäten organisiert, die darauf abzielten, die nationale Sicherheit zu stören“. Der Anwalt der drei Bahá’í wurde im Laufe des Verfahrens derart durch Kritik von Justizbeamten eingeschüchtert, dass er den Fall niederlegen musste.
- Im Falle der drei jungen Bahá‘í aus Schiras, Haleh Roohi, Sasan Taqva und Raha Sabet, die im November 2007 eine vierjährige Haftstrafe antreten mussten, haben wir erfahren, dass inzwischen ein interner Regierungsbericht vorliegt, der von der iranischen Menschenrechtsorganisation „Human Rights Activists in Iran“ veröffentlicht wurde. Dieser Bericht vom 16. Juni 2008 bestätigt die Unschuld der drei Bahá‘í, die sich an einem sozialen Bildungsprojekt in Schiras beteiligt hatten. Demnach haben die Bahá‘í sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen Lesen, Schreiben, Kalligraphie, Werte und Moral sowie Hygiene beigebracht, nicht aber den Glauben gelehrt, wozu sie zweifelsohne nach Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte befugt gewesen wären. Die übrigen 50 jungen Bahá‘í, die wegen ihrer Beteiligung an diesem sozialen Projekt zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden waren, müssen derzeit an islamischen Schulungen teilnehmen. In wechselnden Wochen finden Kurse im Islam geschlechtergetrennt statt. Es liegen Aussagen der Bahá‘í vor, wonach die Lehrer die meiste Zeit des Unterrichts dafür verwenden, die Bahá‘í -Religion verächtlich zu machen.
Zerstörungen von Friedhöfen Die Zerstörungen von Bahá‘í-Friedhöfen gehen unvermindert weiter.
-- Am 19. Januar 2009 wurde zum vierten Mal in acht Monaten der Friedhof in Ghaemshahr in der Provinz Mazandaran verwüstet.
-- Am 12. Januar 2009 wurde der Khavaran Friedhof, im Südosten Teherans gelegen, durch Regierungsbeamte geschändet. Auf dem Friedhof befinden sich die Massengräber von so genannten „Ungläubigen“, die von der Regierung Anfang der achtziger Jahre umgebracht wurden, darunter auch die Gräber von wenigstens 15 Bahá’í, die 1980, 1981 oder 1984 Mitglieder von lokalen und nationalen Geistigen Räten der Bahá’í waren. Am 30. Januar 2009 legte die Internationale Bahá’í-Gemeinde dagegen Protest ein. „Die Zerstörung dieses Friedhofs durch Regierungsbeamte widerspricht den Vorstellungen in allen Kulturen über die Totenruhe, darunter auch den Werten, die im Islam gepredigt werden“, hieß es in einer Mitteilung. Die Internationale Bahá’í-Gemeinde schloss sich damit anderen Menschenrechtsrechtsgruppen im und außerhalb des Irans an, die diese beschämende Tat verurteilen.
-- Am 23. Oktober 2008 wurde der Friedhof in Darzikola, einem Dorf in der Nähe von Qa'emshahr (früher Shahi) in der Provinz Mazandaran mit Bulldozern zerstört.
-- Am 28. September 2008 wurde der Friedhof in Isfahan verwüstet, indem hunderte Bäume gefällt und ein Brand gelegt wurde.
Einschüchterungen und Hasspredigten
Die Regierung beschränkt sich bei ihren Aktionen nicht mehr nur auf die Bahá‘í selbst, sondern auch auf Freunde, Nachbarn, Mitarbeiter und Geschäftspartner, die selbst keine Bahá‘í sind. Nach wie vor halten die verleumderischen Desinformationen in den Massenmedien an. In einigen Städten haben die aufrührerischen Hasspredigten der muslimischen Geistlichkeit bereits die Bevölkerung gegen die Bahá‘í aufgehetzt. So werden in einigen Städten Petitionen gegen die Bahá‘í ausgelegt und bei den Freitagspredigten vor den Moscheen Unterschriften gegen die Bahá‘í gesammelt. Beamte des Informationsministeriums haben zudem gegenüber den Bahá‘í verlauten lassen, dass sie sich nicht in der Lage sähen, die Bahá‘í gegen den aufgehetzten Mob zu "schützen". Bei einer Vernehmung von Bahá‘í in der Stadt Schiras wurde in diesem Zusammenhang von Seiten der Regierungsvertreter auch auf die erstarkte Hojjatieh-Gesellschaft hingewiesen. Diese als Anti-Bahá‘í-Gesellschaft gegründete Organisation sowie die Basij-Milizen wurden benannt, als der Regierungsvertreter in zynischer Art und Weise davon sprach, dass die Regierung den "Schutz" der Bahá‘í nicht mehr oder nur unzureichend gewährleisten könne.Im November 2008 kündigte die Islamic Republic News Agency (IRNA) die Herausgabe einer 304-seitigen, anti-Bahá‘í Publikation an: “Bahá‘ís in the Pahlavi Era.” Sie ist gespickt mit Desinformationen und falschen Andeutungen, inkorrekten Darstellungen über Bahá‘í aus dieser Zeit als Spione und einflussreiche Personen in den Medien, in der Regierung, beim Militär und dem Geheimdienst (Savak). Das Buch wird vom Verlag der Kayhan-Zeitung herausgeben, die allein seit Juli 2008 über 100 Hetzartikel gegen die Bahá‘í veröffentlicht hat. Gleichzeitig wurde eine Broschüre durch das Kulturzentrum in Fardis, einer kleinen Stadt in der Fars-Provinz, herausgegeben. Der Titel ist “Imprisoned Ideology: An Introduction to the Perverse Bahá‘íst Sect.”In einer wöchentlich ausgestrahlten anti-Bahá’í Radiosendung des staatlichen Senders Maaref, die sich an Jugendliche wendet, werden die Zuhörer durch so genannte Gelehrte gegen die Bahá’í aufgehetzt. Die Sendung „Saraab“ („Illusion“) wird montags für 30 Minuten ausgestrahlt und freitags wiederholt.
Kein Recht auf höhere Bildung
Noch immer haben die Bahá‘í keinen Zugang zu Universitäten. Bahá‘í-Studienbewerber, die sich im Herbst 2008 an Universitäten und anderen Instituten einschreiben wollten, fanden heraus, dass ihre Akten auf der Webseite der nationalen Prüfungskommission als "unvollständig" betitelt worden waren. Auch wurden Bahá‘í, die sich trotz allem in den letzten Jahren erfolgreich an Universitäten eingeschrieben hatten, inzwischen wieder ausgeschlossen.So wurden beispielsweise am 14. Januar 2009 neun Bahá’í, die seit zwei Jahren an der Shahid Bahonar University in Kerman studieren konnten, zwangsexmatrikuliert, obgleich viele ihrer Kommilitonen ihre Unterstützung geäußert hatten.Studenten, die bei Gericht Einspruch gegen ihre Exmatrikulation eingereicht hatten, wurden enttäuscht: ihre Gesuche wurden abgewiesen. Berichten aus dem Iran zufolge besteht die Hauptmethode der Behörden, die Bahá‘í in diesem Jahr von der Einschreibung abzuhalten, darin, ihre Prüfungsergebnisse nicht frei zu geben und ihre Unterlagen als "unvollständig" zu erklären. Bereits im letzten Jahr, dem Wintersemester 2007/2008, hatten mehr als 1.000 Bahá‘í-Studienbewerber die Prüfungen bestanden. Fast 800 von ihnen wurden wegen "unvollständiger Unterlagen" ausgeschlossen.
StrafrechtsnovelleNach wie vor besteht die Gefahr, dass das iranische Parlament eine umfassende Strafrechtsnovelle verabschiedet. In erster Lesung wurde diese Novelle, die zum ersten Mal den Straftatbestand der "Apostasie" (d.h. Abfall vom Glauben) unter die so genannten "hadd"-Strafen stellt, bereits mit großer Mehrheit vom Parlament im September 2008 angenommen. Eine endgültige Inkraftsetzung steht jedoch noch aus. Damit wäre es vollkommen legal und nach orthodoxem islamischen Verständnis ein nicht zu änderndes Gottesurteil, wenn die Bahá‘í als Apostaten zum Tode verurteilt werden würden.
Auch die weiteren Bestimmungen dieser Strafrechtsnovelle bilden eine unmittelbare Gefahr für die Bahá‘í: vor allem Artikel 122 Absatz 3.1 bezieht sich auf 'Handlungen gegen die Regierung', die 'Unabhängigkeit' und 'innere' wie 'äußere Sicherheit' des Landes. Bedenkt man, dass der Begriff 'Sicherheit' in der Novelle nicht definiert ist, kann jede Aktivität - ausdrücklich auch jede im Ausland - unter diesen Straftatbestand fallen. Die öffentlich geäußerten Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft gegen die seit März bzw. Mai inhaftierten sieben Mitglieder des informellen Führungsgremiums der iranischen Bahá‘í-Gemeinde ("Gefährdung der Sicherheit", "Spionage") belegen die unmittelbare Gefahr, die von dieser Strafrechtsnovelle für die Bahá‘í ausgeht.
Fürsprache im Iran
Erfreulicherweise können wir aber auch darüber berichten, dass in einem zunehmenden Maße die Bahá‘í von ihren Freunden, Nachbarn, Kollegen und auch von Regierungsvertretern Unterstützung erfahren; so von einer Gruppe von Ärzten, die sich beim stellvertretenden Direktor des Gesundheitsdienstes darüber beschwerten, dass er ihnen eine Order schickte, wonach sie ihre Praxis verlegen sollten, weil sie in einem Haus untergebracht ist, das einem Bahá‘í gehört; von einem Regierungsvertreter, der seine Verlegenheit über die Zerstörung eines Wohnhauses in Abadeh zum Ausdruck brachte, oder von muslimischen Studenten, die gegen den Ausschluss ihres Bahá’í-Kommilitonen mit einem Sitzstreik protestieren.
Bemerkenswert ist der Artikel von Ahmad Batebi, einem prominenten Menschenrechtsaktivisten, der jetzt im Exil lebt. Dieser Artikel "Die Bahá‘í und Hochschulbildung im Iran" wurde am 2. September 2008 bei Rooz Online veröffentlicht und kritisiert die Verweigerung des Rechtes auf Bildung und die Verfolgung der Bahá‘í im Iran.
Auch Ali Keshtgars Beitrag im Online-Journal Gooya News - betitelt mit "We Are All Iranian Bahá‘ís!" (Wir sind alle iranische Bahá‘í) und am 15. August 2008 veröffentlicht - erinnert daran, dass die Regierungskampagne gegen die Bahá‘í zunehmend sogar im Iran Menschenrechtsaktivisten auf den Plan gerufen hat. So übernahm die iranische Friedensnobelpreisträgerin und Rechtsanwältin Shirin Ebadi das Mandat zur Verteidigung der Rechte der inhaftierten Yaran.Am 14. Mai 2008 veröffentlichte der Großayatollah Hussein Ali Montazeri eine Fatwa zugunsten der Bürgerrechte für die Bahá’í. Nach Montazeri sollten den Bahá’í die Rechte als Bürger zuerkannt werden, ungeachtet der Tatsache, dass sie nicht über „ihr eigenes göttliches Buch“ verfügen und daher nicht als geschützte religiöse Minderheit anerkannt sind. Diese Fatwa ist ein grundlegender Ansatz zu einer Trennung der staatsbürgerlichen Rechte vom Scharia-Recht. Sie anerkannt damit die Schutzbedürftigkeit der Bahá’í auf der Grundlage, das ihr Glauben keine Relevanz besitzt gegenüber ihren Bürgerrechten. Die Bedeutung dieser Fatwa kann angesichts des nach wie vor hohen Ansehens von Großayatollah Montazeri als Quelle der islamischen Rechtsleitung nicht unterschätzt werden. Montazeri hat in der Vergangenheit immer wieder Menschenrechtsverletzungen des Regimes kritisiert, wodurch er selbst in die Kritik geriet.
Fürsprache außerhalb des Irans
Seit Mitte Mai haben viele Regierungen und Organisationen in der ganzen Welt ihre Sorge über die Verhaftung der Bahá’í geäußert, darunter auch die deutsche Bundesregierung, die Europäische Union, die Gesellschaft für bedrohte Völker, Amnesty International sowie die internationale Kampagne für Menschenrechte im Iran, das iranische Zentrum zur Dokumentation der Menschenrechte und die US-amerikanische Kommission für weltweite Religionsfreiheit. Beispiele solcher Stellungnahmen sind:
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat am 18. Dezember 2008 eine Resolution angenommen, die die Menschenrechtslage im Iran scharf verurteilt. Die Resolution war von der Regierung Kanadas eingebracht worden und wurde schon vor der Abstimmung von über 40 Ländern unterstützt. Darin drücken die Staaten ihre „tiefe Besorgnis über die anhaltenden systematischen Menschenrechtsverletzungen im Iran“ aus, darunter auch die kürzlich „bewiesenen Vorfälle“ von Folter, öffentlichen Hinrichtungen und die gewaltsame Unterdrückung von Gruppen, die von ihrem Recht auf friedliche Versammlung Gebrauch machen, wie beispielsweise Frauen.
Die Resolution fordert die Islamische Republik auf, sich den “substantiellen Sorgen” über die Menschenrechtslage im Iran zu widmen, die in einem kürzlich erstellten Bericht des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon aufgezählt wurden. In dem im Oktober veröffentlichten Ban Ki-moon-Bericht heißt es, dass „es zahlreiche ernsthafte Hindernisse gebe, die Menschenrechte im Iran umfassend zu schützen.“ Sorge über Folter, Hinrichtungen, die Rechte von Frauen und die Diskriminierung von Minderheiten wird in dem Bericht ebenfalls ausgerückt.
Die Resolution fordert den Iran auf, “die Drangsalierung, Einschüchterung und Verfolgung politischer Gegner und Menschenrechtsverteidiger einzustellen und die Gefangenen freizulassen, die willkürlich wegen ihrer politischen Überzeugungen inhaftiert wurden” sowie “Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten und die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen zu beenden. Die Resolution nimmt besonders Bezug auf die Angriffe gegen Bahá’í. Sie stellt “vermehrte Anstrengungen des Staates“ fest, „die Bahá’í zu identifizieren und zu überwachen, Bahá’í aus den Universitäten auszuschließen, sie davon abzuhalten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen“. Genannt wird auch die Verhaftung der sieben führenden Bahá’í, die ohne Anklage oder Rechtsbeistand seit dem 14. Mai 2008 im Teheraner Evin-Gefängnis festgehalten werden.
· Die Bundesregierung hat aufgrund des Vorfalls vom 14. Mai 2008 den iranischen Geschäftsträger in Berlin einbestellt. Hier wurde in einem Gespräch mit dem iranischen Vertreter die Besorgnis über die jüngsten Ereignisse zur Sprache gebracht.
· Die Europäische Union drückt in seiner Stellungnahme vom 21. Mai zunächst Besorgnis über die Verhaftungen aus und schreibt dann weiter: “Die EU wiederholt ihre tiefe Sorge bezüglich der anhaltenden systematischen Diskriminierung und der Verfolgung der iranischen Bahá’í auf der Grundlage ihrer Religion.”
· Nach Auffassung der Gesellschaft für bedrohte Völker spitzt sich die Unterdrückung und Verfolgung der Bahá'í offenbar zu einem systematisch betriebenen "Ethnozid" zu, d.h. zu einer vorsätzlichen Vernichtung ihrer Religion und Kultur. Die Gesellschaft für bedrohte Völker übergab am 19. Juni 2008 ihren neuen 47-seitigen Menschenrechtsreport "Bahá'í im Iran: Strangulierung einer religiösen Gemeinschaft“ dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundes- regierung, Günter Nooke, auf einer Pressekonferenz in Berlin.
· Sechs Nobelpreisträgerinnen, die eine Nobelpreis-Fraueninitiative mit Sitz in Ottawa, Kanada gegründet haben, veröffentlichten Ende Juli eine Stellungnahme, in der sie die sofortige und bedingungslose Freilassung der sieben iranischen Bahá’í, der Mitglieder der Koordinierungsgruppe, fordern. Gründerinnen der Nobelpreis-Fraueninitiative sind Mairead Corrigan Maguire, Betty Williams, Rigoberta Menchu Tum, Jody Williams, Shirin Ebadi und Wangari Muta Maathai.
· Der Internationale Juristenverband teilte in einer Pressemitteilung mit, dass die sechs Bahá’í “willkürlich verhaftet” wurden und “sofort entlassen oder eines nachvollziehbaren Vergehens angeklagt werden sollten.” Trotz der Berichte, nach denen die Bahá'í angeblich aufgrund von Sicherheitsgründen und nicht wegen ihres Glaubens verhaftet wurden, "hält er es für ausreichend belegt, dass sie in Zusammenhang mit ihrer friedfertigen Tätigkeit als Mitglieder der nationalen Koordinierungsgruppe der iranischen Bahá’í verhaftet wurden.”
· Zwei bekannte indische Rechtsanwälte und eine Gruppe von Rechtsanwälten in Bangladesch wandten sich an die iranische Regierung mit der Bitte, die Menschenrechte der Verhafteten zu achten und ihnen zumindest Rechtsbeistand, Besuche von Familienmitgliedern und Informationen darüber, welcher Anklagepunkte ihnen zur Last gelegt werden, zu gestatten.
· Die australische Regierung sandte die folgende Stellungnahme an den UN-Menschenrechtsrat in Genf: “Australien ist in tiefer Sorge über die Nachricht, dass mehrere Bahá'í-Führer am 14. Mai im Iran verhaftet wurden. Es ist unklar, ob ihnen konkrete Vergehen vorgeworfen werden und es scheint, dass die Verhafteten weder Rechtsbeistand noch Kontakt zu ihren Familien haben dürfen. Australien hält es für angebracht, dass der Rat eine aktive Rolle bei der Förderung und dem Schutz auf Religions- und Glaubensfreiheit spielen sollte.”
· Fünf kanadische Akademiker, die alle im Iran geboren sind, jedoch selbst nicht der Bahá’í-Religion angehören, schrieben an UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, dass die Verhaftung der Bahá’í der “jüngste Verstoß gegen weltweit anerkannte Menschenrechte” ist, der „die lange Liste der Verletzungen der iranischen Regierung verlängert gegenüber einer großen Gruppe von Menschen, die nur die Gelegenheit haben möchten, zum Wohlergehen des Iran beizutragen“.
· Schottische Geistliche, darunter der Sprecher der General- versammlung der Kirche von Schottland sowie der Kardinal, der Vorsitzender der römisch-katholischen Kirche ist, forderten die iranische Regierung auf “ihren Verpflichtungen gemäß der Erklärung der Menschenrechte in Bezug auf Religionsfreiheit nachzukommen und die Gefangenen sofort und unversehrt freizulassen.”
Andere Stellungnahmen sind beispielsweise:
o Federacion Internationale des Droits de l’Homme und Human Rights Watch
o Amnesty International
o U.S. Department of State
o Kanadisches Außenministerium
o InternationalKampagne für Menschenrechte im Iran
o Anti-Defamation League
o Iranisches Zentrum zur Dokumentation von Menschenrechten
o U.S. Kommission zur weltweiten Religionsfreiheit
Zusammenfassung
Die Verfolgung der Bahá’í ist allgegenwärtig und verschlimmert sich zusehends. In den letzten Monaten wurden viele Vorfälle aus allen Teilen des Iran berichtet, in denen die Verfolgung unten beschriebene Formen annahm:
· Festnahmen und Verhaftungen mit Inhaftierungen, die Tage, Monate oder Jahre andauerten. In den Fällen, in denen Bahá’í freigelassen wurden, geschah dies oft gegen hohe Kaution.
· Direkte Einschüchterungsversuche und Verhöre durch Behörden, manchmal begleitet durch den Einsatz extrem intensiven Lichts und körperlicher Misshandlung.
· Durchsuchungen von Bahá’í-Häusern und Geschäften, üblicherweise mit Konfiszierung von Bahá’í-Büchern und anderen Gegenständen.
· Schulverweise und Drangsalierung von Schulkindern.
· Verbot, Bahá’í an Universitäten einzuschreiben.
· Gerichtsverfahren, in denen die Bahá’í beschuldigt werden, Propaganda gegen die Regierung zu verbreiten “zugunsten der Bahaiisten-Sekte”.
· Überwachung von Bankkonten, Umzügen und Aktivitäten der Bahá’í, einschließlich offizieller Verhöre von Bahá’í, in denen sie aufgefordert werden, Informationen über ihr Leben, ihre Tätigkeiten, ihre Nachbarn etc. zu liefern.
· Aberkennung oder Beschlagnahmung von Geschäftslizenzen.
· Verweigerung von Beschäftigung ganz allgemein.
· Aberkennung des rechtmäßigen Erbes von Bahá’í.
· Körperliche Übergriffe und Versuche, Bahá’í aus Städten und Dörfern zu vertreiben.
· Entweihung und Zerstörung von Bahá’í-Friedhöfen und Schikanen in Bezug auf Bestattungsvorschriften.
· Verbreitung von Falschinformationen über die Bahá’í durch die Massenmedien und Schüren des Hasses gegen die Bahá’í.
· Zwangsräumungen von Geschäftsräumen, darunter auch Vertreibung von Bahá’í-Ärzten aus ihren Praxen und Kliniken.
· Einschüchterung von Moslems, die mit Bahá’í verkehren.
· Versuche der Behörden, Bahá’í dazu zu bringen, andere Bahá’í auszuspionieren.
· Drohanrufe und Drohbriefe.
· Verweigerung der Auszahlung von Renten.
· Verweigerung der Veröffentlichung oder Vervielfältigung von Bahá’í-Literatur.
· Beschlagnahmung von Eigentum